Gebissen
Klar, das glaubte einem jeder sofort.
»Logisch, alles easy, alles gut. Darum schaust du auch nicht selbst nach, sondern schickst mich zu deiner Wohnung. Verkauf mich nicht für blöd!«
»Ja, vergiss es, lass es sein. Es war dumm zu fragen.«
»War’s nicht. Ich bin schon auf dem Weg, ich melde mich einfach krank, ist doch eh öde hier. Wo steckst du?«
»Nirgendwo. Pass auf, lass dich nicht in der Wohnung erwischen, geh einfach vorbei, wirf nur einen Blick auf die Tür.«
»Schon gut. Pass du mal auf dich auf. Das mein ich ernst. Und ruf an, wenn du Hilfe brauchst. Wozu hast du Freunde?«
»Danke.«
Kaum hatte er aufgelegt, läutete das Handy erneut. Die Nummer kannte er nicht.
»Ja?«
»Alex?«
»Ja.«
»Hier Sandy. Ich hab dir gesagt, dass ich nicht zulasse, dass du Lisa was antust. Komm heute Abend zu den drei komischen Kunstfiguren gegenüber vom Osthafen, dann schaffen wir das aus der Welt. Um zehn Uhr.« Ihre Stimme war beherrscht, fast gefühllos und hart.
»Und wenn ich nicht komme?«
»Oh, ich weiß, wo du wohnst, ich weiß, wo du Bier trinkst, ich weiß, wo du auflegst. Es ist gar kein Problem, dich zu finden.«
»Okay, ich komme. Ich ...«
Klick. Sie hatte ihn weggedrückt.
Sie hatte entschlossen geklungen, aber was sollte ihn das kümmern, sie war ein Mädchen, und er hatte neuerdings die Kräfte eines Vampirs. Sie konnte ihm nichts anhaben.
»Bin ich jetzt eigentlich auch unsterblich?«, fragte er, aber Danielle zuckte nur mit den Schultern. »Sagen wir eher langlebig. Zäher als ein Mensch, Wunden verheilen schneller, Krankheiten dürften dir nichts ausmachen, aber wenn dir morgen einer den Kopf abschlägt, bist du tot, und in deinem Nachruf wird es heißen: viel zu früh von uns gegangen.«
»Ja, schon klar«, murmelte Alex und wandte sich wieder den Notizen zu. Keller ehemaliger Bierbrauereien, die Kanalisation, Gewölbe, Bunkerbauten, Wasserversorgung, nie ans Netz gegangene U-Bahn-Schächte und Weiteres war dort neben der Rohrpost aufgelistet.
»In Berlin ist der Grundwasserspiegel hoch, da ist der Untergrund nicht ganz so alt und tief wie etwa in Paris. Das kommt uns gelegen.«
»Besonders übersichtlich finde ich das trotzdem nicht«, brummte Alex und studierte den Stadtplan, auf dem Danielle rote, blaue und grüne Linien und Kreise eingetragen hatte. Das musste sie alles gemacht haben, während er im Bett gewesen war. »Du schläfst wirklich nicht, oder?«
»Nein.«
Noch bevor er sich einen richtigen Überblick verschafft hatte, läutete sein Handy erneut.
»Wer zur Hölle ist hinter dir her?«, rief Koma. Seine Stimme zitterte.
»Wieso? Hat wer eingebrochen?«
»Nein, verdammt! Das heißt, ich weiß es nicht. Wenn der einen Schlüssel oder Dietrich hatte, sieht man das ja nicht. Aber an der Klinke hängt eine tote Ratte, aufgeknüpft auf Stacheldraht! Und die war nicht vorher tot, die Wunden am Hals sind frisch und blutverkrustet.«
»Eine Ratte?«
»Ja, verdammt! Wahrscheinlich hat sie vor kurzem noch gezappelt. Die perverse Sau hat ihr zudem die Augen ausgestochen und eine Stecknadel ins Herz gerammt. Das ist doch krank!«
»Wo bist du?«
»Vor deinem Haus. Inzwischen nicht mehr. Gleich bin ich bei der S-Bahn und fahr irgendwohin, wo es Bier gibt, weit weg von deiner Wohnung. Ich brauch jetzt ein Bier und ’ne Zigarette.«
»Danke.«
»Sag nicht danke. Erzähl mir lieber, was los ist.«
»Später. Es geht jetzt nicht, sorry.«
»Idiot!« Koma drückte ihn weg.
Die Jagd auf sie hatte begonnen.
21
Erwin Mitreski schaltete den Motor ab und blieb einfach sitzen, die Linke noch immer auf dem Lenkrad. Er starrte durch die Windschutzscheibe auf den überquellenden orangefarbenen Mülleimer neben dem Parkplatz, auf die zwei kleinen Jungen, die sich einen abgewetzten Ball zukickten, und hinüber zu dem frisch gestrichenen Plattenbau mit den bunten Fröschen über der Eingangstür. Seufzend kurbelte er die Dachluke zu und stieg aus. Er wusste nicht, wie lange er seinen Job noch behalten konnte. Heute hatte die betriebsbedingte Kündigung seinen Kollegen Achim Fandel erwischt, mit dem er seit dreizehn Jahren zusammenarbeitete.
»Es wird nicht mehr so viel gebaut in Berlin, die Zeiten sind schlecht«, hatte die lapidare Begründung gelautet. Es hatte Achim und drei weitere erwischt, die vor acht Jahren versucht hatten, einen Betriebsrat zu gründen. Niemand glaubte an einen Zufall, doch keiner wollte sich beschweren. Wo auch? Es wurde schon von weiteren
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