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Gebissen

Gebissen

Titel: Gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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und dabei dämlich gegrinst. Außerdem hättest du den ja vorher ganz sicher mit ihm gehabt, und er hat auch einen teuren Ring mit einem Diamanten besorgt, um dir einen Antrag zu machen. Und dann hat der widerliche Sack mich auf den Mund geküsst, mir an den Busen gegrabscht und gelacht: Lass den Kopf nicht hängen! Er hat gesagt, dass er dich liebt und nicht mich, ich würde aber schon noch einen anderen finden, schließlich hätte ich ja einen geilen Arsch. Ich war so fassungslos, ich konnte gar nicht
reagieren, und er ist mit einem Taxi abgedüst.«
    Das war in der Tat völlig durchgedreht. Und er war auf dem Weg zu ihr. Wie hatte sie sich nur so in ihm täuschen können? Immer wieder hatte sie sich das seit gestern gefragt, seit er mit der anderen wie im Rausch vögelnd vor ihren Augen durch die Wohnung gerast war. Er war verrückt, ein Psychopath, warum hatte sie das nicht gleich gesehen? Sie machte sich Vorwürfe, so naiv gewesen zu sein.
    Viel hatte sie nicht mitgenommen, ihr war keine Zeit geblieben, irgendwas zusammenzupacken, doch die Wohnung hatte sie zweimal abgeschlossen. Sie ekelte sich bei dem Gedanken daran, dass er dort einbrechen würde und in ihren Sachen wühlen, jede Schublade inspizieren und auf ihre Unterwäsche onanieren oder was jemand wie er sonst so für kranke Dinge tat. Sie wollte ihm die Wohnung nicht überlassen, wollte sich nicht so schwach fühlen, aber sie hatte Angst. Den Anblick von ihm und dieser anderen würde sie nie vergessen - in diesem Moment hatte er etwas derart Dunkles ausgestrahlt, wie sie es noch nie gesehen hatte. Wilde Besessenheit, nur Trieb und kein Verstand. Sie wurde diese Bilder nicht los - trotz Voodoo-Shirt.
    Bei dem Gedanken an das Shirt und ihr Ritual musste sie kurz lächeln. Sandy war eine fantastische Freundin, sie hatte ihr geholfen und jetzt außerdem versprochen, Freunde anzurufen, die sich um Alex kümmerten, die möglichst bald nach der Wohnung sehen würden. Erst mal würde sie Lisa eine Bleibe für die Nacht organisieren, wo sie nicht belästigt wurde, und wenn es nicht anders ginge, müssten sie morgen eben zur Polizei gehen, Anzeige erstatten. Es war gut, Sandy zu haben, die sich um alles kümmerte, sie selbst musste sich erst mal wieder fangen.
    Hinter sich hörte sie Schritte, doch als sie sich umdrehte, war niemand zu sehen, auch nichts mehr zu hören. Eine Laterne flackerte, in einem Fenster ging das Licht aus, sonst lag die Straße reglos da. Ihr Haus konnte sie schon nicht mehr erkennen.
    Sie durfte sich nicht so nervös machen lassen, er konnte noch nicht hier sein, so schnell war kein Taxi. Niemand war hier, sie war allein, ganz allein, es gab keine Bedrohung.
    Langsam zuckelte ihr ein Auto entgegen, so langsam, als suche es eine bestimmte Adresse oder einen Parkplatz. Als sie das ausgeschaltete Taxilicht auf dem Dach bemerkte, rannte sie los, an ihm vorbei und weiter. Jeden Moment rechnete sie damit, quietschende Bremsen und eine zuschlagende Autotür zu hören, doch die Motorengeräusche verloren sich langsam hinter ihr.
    Trotzdem hielt Lisa nicht an, sie lief weiter und weiter, lief, bis sie schließlich mit Seitenstechen und völlig verschwitzt auf die belebte Schönhauser Allee stolperte, wo sie schwer atmend langsamer wurde. Menschen lachten, plapperten, riefen, tranken, standen herum und eilten vorbei, in Gruppen, Arm in Arm oder allein. Ein schlaksiger Junge in Shorts mit langem braunem Haar schlug mit der flachen Hand enttäuscht gegen die geschlossene Tür einer anfahrenden Tram, Autos versammelten sich an roten Ampeln. Hier lebte die Stadt, hier fühlte sie sich einigermaßen sicher, und als sie Sandy an der Haltestelle Eberswalder Straße entdeckte, warf sie sich ihr in die Arme und sagte: »Danke.« Sie hätte heulen können vor Erleichterung.
    »Keine Ursache«, murmelte Sandy und hielt sie fest, streichelte mit den Händen über ihren Rücken. Lisa konnte Sandys Atem bei jedem Wort über ihren bloßen Hals streichen spüren. »Wir gehören doch zusammen, ich kann dich doch nicht diesem Kerl überlassen.«
    Lisa lachte und löste sich langsam von ihrer Freundin. In Sandys Augen lag Entschlossenheit, und sie roch noch immer merkwürdig, wie frisch aufgebrochene Erde, aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, um über Parfüm zu diskutieren. Sie ließ sich von Sandy an der Hand nehmen und die ausgetretenen grauen Betonstufen zu den Gleisen der U2 hinaufführen, vorbei an einer zersplitterten Bierflasche und einem einsamen

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