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Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)

Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)

Titel: Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Gruberová , Helmut Zeller
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hat in wenigen Wochen schon genug gesehen, als dass sie solchen Versprechungen noch Glauben schenken würde. Ihr Instinkt sagt ihr, dass es sich um eine Falle handelt. «Du darfst nicht gehen», fleht sie Miriam an. Die zögert. Der Hunger ist so stark. Dann aber dreht sie sich um und läuft schnell zurück. Miriam weiß, dass Erna sie damals vor dem Tod gerettet hat. Die SS versprach bessere Behandlung und mehr Essen, um der Schwangeren in der Masse der Gefangenen habhaft zu werden. Die Frauen wurden vergast. Jeden Tag teilt Erna mit Miriam ihre Essensration. Die beiden sind wie Schwestern. «Miriam, iss, du bekommst ein Kind», fleht die Siebzehnjährige sie an. Miriam zögert. Darf sie von Erna Brot annehmen? «Aber du bist doch so hungrig. Mir macht es nichts aus», versichert ihr Erna. «Du brauchst es mehr als ich.» Das Mädchen riskiert sogar eine Bestrafung, als sie von ihrer grauen Decke einen breiten Streifen abreißt. Miriam wickelt ihn sich unter dem dünnen Häftlingskleid um den Bauch, damit sie während des stundenlangen Zählappells nicht so frieren muss. Die gelehrige 17-Jährige bringt Miriam noch andere Strategien des Überlebens bei. So lernt Miriam, die jede Portion gleich verschlingt, ihr Brot einzuteilen, kleine Stücke über den Tag verteilt und am Abend zu essen. «Dort, im Lager, konnte man am besten erkennen, wer ein gutes Herz hatte. Ernuschka war ein Engel. Ich werde es ihr niemals vergessen.»
«Die Juden haben immer Hoffnung»
    Der «koschere» Bus nach Bnei Berak, in dem Frauen und Männer getrennt sitzen, steckt im Stau fest. Für die 35 Kilometer lange Strecke von Netanya aus braucht er mehr als eine Stunde. Autobahnen zerschneiden das trockene und steinige Land, am Straßenrand wächst zähes Baumgestrüpp aus der roten Erde. Die heute 151.000 Einwohner zählende Stadt nordöstlich von Tel Aviv wurde 1924 von einer Gruppe polnischer Chassidim gegründet und ist neben Jerusalem die Hochburg des ultraorthodoxen Judentums in Israel. Die Männer von vier unterschiedlichen chassidischen Gruppen widmen sich in dieser Stadt ausschließlich dem Thorastudium. Sie sind vom Militärdienst befreit und erhalten vom Staat monatlich eine kleine finanzielle Unterstützung. Wer in der Stadt der Frommen beschauliche Ruhe erwartet, wird enttäuscht. Das Zentrum erstickt im Verkehrslärm, auf den Gehwegen schieben und drängen sich die Bewohner an Metzgereien, Obstgeschäften und Läden mit Bekleidung vorbei. Die Männer mit Hüten, Schläfenlocken und in pechschwarzen Anzügen haben es eilig, miteinander diskutierend, verlangsamen sie nicht ihren Schritt. Die Frauen, mit Kopftüchern, Strümpfen und langen Röcken bekleidet, schleppen volle Einkaufstüten und treiben ihre Kinder an. Es ist heiß, 35 Grad Celsius. Weit und breit kein Straßencafé oder Restaurant. Hier also lebt Miriams «Engel» Erna und betreibt noch heute, mit 83 Jahren, ein Textilgeschäft. Die Männer auf den Straßen sind nicht gerade hilfsbereit bei der Suche nach ihrem Haus, das abseits vom Zentrum in einem Gewirr von Straßen liegt, und reagieren auf Fragen nur mit einer abweisenden Handbewegung. Einer aber zeigt schließlich den Weg zu dem vierstöckigen Gebäude, das zurückgesetzt in einem Garten mit dürren Sträuchern steht. Fünf Jungen spielen in weißen Hemden mit traditionellen Zizit Fußball. Laut plappernd und lachend rennen sie die schmale Treppe in das erste Stockwerk voraus.
    Der Lärm ist schon zu ihr gedrungen. Erna Klein, eine schlanke Frau in einem eleganten schwarzen Kostüm, steht in der Wohnungstür. Gleich zur Begrüßung sagt sie, sie habe seit heute Morgen versucht, das Treffen abzusagen. «Was soll ich denn erzählen?» Im Wohnzimmer mit der großen Schrankwand, schweren Polstersesseln und einem langen Mahagonitisch ist es kühl. Alles wirkt unberührt, fast so, als gäbe es keine Bewohner. Über den Esstisch hat Erna Klein sorgfältig eine handgehäkelte weiße Spitzendecke ausgebreitet. «In Ungarn hatten wir noch schönere», sagt sie. Wie alle streng orthodoxen Frauen trägt sie eine Perücke. Man muss aber schon genau hinschauen, um das zu erkennen. Ihr Blick wirkt jetzt fast belustigt, als würde die ungewohnte Situation doch ihre Neugierde erregen. Noch etwas anderes, nicht gleich Fassbares an ihrem Aussehen überrascht. Erna Klein ist zwar mehr als 80 Jahre alt, aber ihr fein geschnittenes Gesicht hat kaum Falten.
    Sie muss, wie Miriam das erzählt hat, wirklich ein zartes Mädchen gewesen

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