Geboren im KZ: Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I (German Edition)
einem Lastwagen saß. Der Wagen fuhr in Richtung der Krematorien.»
In der Baracke der slowakischen Blockältesten Elsa, einer etwa 30-jährigen Frau mit feinen Gesichtszügen, sind fast 700 Frauen. Gleich während des ersten Zählappells macht sie unmissverständlich klar, wer hier das Kommando hat. Mehrere Stunden lang lässt sie eine Frau aus Evas Baracke auf dem Appellplatz knien. Die Unglückliche muss dabei ihre dünnen Arme in die Höhe strecken und in jeder Hand einen Ziegelstein halten. Warum Elsa sie so bestraft, erfahren die Frauen nicht. Sie ist jetzt die alleinige Herrscherin, niemand wagt es, sich ihren Befehlen zu widersetzen. Die Slowakinnen sind im Lager gefürchtet. In Auschwitz sind sie schon seit zwei Jahren und kennen sich gut aus. Insgesamt 19 Transporte mit mehr als 18.000 slowakischen Juden, Frauen und Männern, kamen zwischen März und Oktober 1942 in Auschwitz an. Am Ende des Jahres lebten nur einige Hundert von ihnen, meistens junge Menschen aus den allerersten Transporten, die nicht selektiert worden waren. Die slowakischen Jüdinnen waren neben den deutschen Frauen, die man aus Ravensbrück ins Lager brachte, im ersten Monat auch die einzigen weiblichen Häftlinge in Auschwitz. Die Lagerleitung brauchte dringend Arbeitskräfte, und weil viele von ihnen Deutsch sprachen, bekamen sie oft leichtere Arbeiten unter Dach und im Warmen zugewiesen. Die SS setzte sie als Schreibkräfte ein, im Waschraum oder im «Kanada»-Kommando, das die Gepäckstücke aus jüdischen Transporten sortierte und für den Transport ins Reich vorbereitete. Einige arbeiteten als Friseurinnen oder Haushaltshilfen bei den Familien der SS-Wachen oder im Haus des Lagerkommandanten Rudolf Höss. Nicht wenige erlangten eine Position als Block- oder Stubenälteste. Ihre Funktionen schützten sie in gewisser Weise, doch waren auch sie dem SS-Terror ausgesetzt. Einige von ihnen genossen ihre Macht und verhielten sich gegenüber anderen Gefangenen gefühllos und brutal. Es waren Mädchen und junge Frauen zwischen 16 und 30 Jahren, deren Familien bereits ermordet waren. Während der zwei Jahre im Lager hatten sie schon viel Schreckliches erlebt. Sie mussten hilflos zusehen, wie ihre Mütter, Großmütter und Tanten, die mit späteren Transporten ankamen, in großen Lastwagen zu den Gaskammern gebracht wurden. Sie gewöhnten sich an die Leichenberge, sahen, wie Menschen gequält wurden, langsam verhungerten oder ihren Verstand verloren. Ihre Tränen waren längst versiegt. Der Anblick der ungarischen Jüdinnen, die – verglichen mit ihnen – noch frisch und gesund aussahen, machte sie wütend. In ihren Augen hatten diese Frauen bis 1944 ein gutes Leben geführt. Die Blockälteste Elsa war keine Ausnahme. «Warum sollte ich euch gut behandeln? Meine Mutter wurde auch geschlagen», antwortete sie zynisch auf die Frage, warum sie ein Mädchen bestraft habe, nur weil es um eine größere Essensportion gebeten hatte.
Aber an wen sonst, wenn nicht an die Bloková, wie die Blockälteste auf Slowakisch heißt, soll Miriam sich in ihrer Not schon wenden. Eines Tages überwindet sie sich und erzählt Elsa von ihrer Schwangerschaft. Ihr Bauch wird mit jedem Tag größer, bald wird sie es ohnehin bemerken. Was hat sie also zu verlieren? Elsa ist doch auch nur eine Gefangene und muss tun, was die SS sagt. Vielleicht wird sie Mitleid haben und dafür sorgen, dass sie mehr Essen bekommt? Elsa schweigt lange und mustert Miriam. «Kein Wort, sag kein einziges Wort über deine Schwangerschaft, verstehst du? Kein Wort! Sonst gehst du in die Gaskammer.» Dann dreht sie sich um und lässt die verblüffte Miriam stehen. Natürlich weiß Elsa, welches Schicksal schwangere Jüdinnen in Birkenau erwartet. Sie will Miriam helfen. Einmal gibt sie ihr ein kleines Extrastück Brot. «Gehe weg von hier, egal, wohin, bloß weg. Wenn sie wieder Leute für die Arbeit brauchen, melde dich», rät sie ihr. Ob ein Häftling in Auschwitz am Leben bleibt oder nicht, ist vor allem eine Frage des Glücks. Das erfährt auch Miriam. Eines Tages, sie steht gerade mit anderen Frauen Appell, kündigt ein SS-Mann Unglaubliches an: «Alle schwangeren Frauen hervortreten! Sie bekommen eine doppelte Essensportion!» Etwa fünfzig Frauen drängen nach vorne, Miriam ist die Letzte. Eine doppelte Portion, das ist die Erfüllung all ihrer Träume. Die neidvollen Blicke der anderen Frauen begleiten die vermeintlich Glücklichen. Aber Erna traut der SS nicht. Das kluge Mädchen
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