Geboren in Atlantis
Polizist«, erklärte Suko, »Scotland Yard. Kennen Sie das?«
»Klar.«
»Und lesen können Sie nicht?«
»Nein, nie gelernt.«
Es war ein Problem mit dem Analphabetentum. Nicht nur in den Staaten, wo jetzt eine Kampagne dagegen anlief, auch in London gab es dieses Problem.
»Ist das Ihr Kind?«
»Ja, Mister.«
»Und der Vater?«
»Weg, abgehauen.« Sie verzog den Mund. »War ein Koreaner, hat mich sitzen lassen.«
»Wovon leben Sie?«
»Mal hier - mal da.«
»Strich?«
Die Frau nickte. Sie war noch jung. Das Kind hatte sie sicherlich mit sechzehn oder siebzehn Jahren bekommen, aber ihr Gesicht sah trotzdem aus wie das einer alten Frau. Keine gesunde Haut mehr, das Laster hatte sie gezeichnet.
Suko lächelte, um eine kleine Brücke des Vertrauens zu schaffen. »Sie wissen vielleicht, weshalb ich hier bin?«
»Nein.« Sofort senkte die Frau den Kopf. Für Suko ein Beweis, dass sie log.
»Wie heißen Sie?«
»Gladys.«
»Okay, Gladys, ich weiß, dass Sie mich angelogen haben. Es ist auch nicht weiter tragisch. Ich an Ihrer Stelle hätte es auch getan. Man hat Ihnen also gesagt, dass Sie den Mund halten sollen.«
»Wer redet, der stirbt!« hauchte sie. »Waren es die Verdammten?«
»Weiß nicht.«
»Wo sind sie?«
»Weiß nicht.« Gladys stand noch immer am Schrank, den Kopf gesenkt, die Arme jetzt ausgebreitet und damit über die Platte des vorstehenden Unterteils streichend.
»Die bösen Männer haben es getan!« Lynn meldete sich. »Sie sind zu uns gekommen.«
Gladys hob den Kopf. »Hör auf, geh weg! Leg dich ins Bett, Lynn.«
»Nein, lassen Sie die Kleine.« Suko ging in die Knie und fragte Lynn.
»Kennst du sie denn?«
Lynn nickte. »Da sind viele Männer, Mister, sehr viele. Ich sehe sie immer.« Plötzlich strahlte sie und lächelte mit Mund und Augen.
»Manchmal fliegen sie sogar.«
»Oh…«, staunte Suko. »Durch die Luft? So richtig fliegen?«
»Klar, Mister.«
»Hören Sie nicht auf Lynn. Sie… sie hat eine große Phantasie, verstehen Sie?«
Suko ließ sich durch den Einwand der Mutter nicht beirren. »Sag mal, Lynn, wann fliegen sie denn? Am Morgen oder am Abend oder den ganzen Tag über.«
»Oft.«
»Kennst du sie?«
Lynn lachte. »Du bist dumm, die wohnen doch hier. Die haben sich hier immer versteckt.«
Gladys drehte durch. Sie packte den Arm ihrer Tochter und zerrte die Kleine zu sich heran. Lynn fing an zu schreien. »Du tust mir weh, Mummy, du tust mir weh.«
Sie drückte das Kind auf ein Bett. Es war groß genug, um beiden Platz zu bieten. Eine zweite Tür gab es nicht. Die beiden wohnten auf einem Zimmer, die Toiletten befanden sich im Flur jeweils zwischen den einzelnen Etagen.
Gladys holte aus. Bevor ihre Hand nach unten fahren, konnte, war Suko bei ihr. Er umschloss ihr Handgelenk. »Ein Kind schlagen, Miss? Ist das der richtige Weg?«
Sie fuhr herum, wollte sich losreißen und erbleichte, als sie merkte, dass es nicht möglich war. »Was wissen Sie denn schon davon, verflucht? Von diesem Mistleben in der Enge, zwischen Mördern, Tagedieben und Huren. Das ist hier verdammt, die ganze Ecke ist verdammt, nur ein Loch.«
Suko nickte. »Das weiß ich, und es tut mir leid…«
»Gar nichts tut dir leid, Bulle!« schrie sie Suko ins Gesicht. »Dir kann gar nichts leid tun. Du sitzt mit deinem fetten Hintern im Büro und wirst von den Steuern bezahlt. Du kannst dich in unsere Lage nicht hineindenken, du nicht!«
Diesem plötzlichen Ausbruch stand der Inspektor recht hilflos gegenüber. Er wusste nicht, was er erwidern sollte, die Frau hätte ihm kein Wort geglaubt. Zu recht, wie er sich selbst eingestand. Er gehörte zwar nicht zu den Millionären, zwischen ihm und den Menschen hier war trotzdem eine große Distanz.
Als Gladys weinte, ließ Suko sie los. Sie hockte sich auf die Bettkante nieder, neben ihrer Tochter. Suko gab ihr ein reines Taschentuch, damit sie sich die Nase putzen konnte, und die kleine Lynn versuchte, ihre Mutter mit Worten zu trösten.
»Nicht weinen, Mummy, nicht schon wieder. Du weinst zu oft in der letzten Zeit.«
Suko presste die Lippen hart zusammen. Das soziale Elend ließ seine Galle überkochen. Hier musste einfach etwas getan und keine Kopfsteuer erlassen werden.
Gladys schaute auf. Ihre Augen waren verquollen, die Tränen hatten nasse Spuren auf dem Gesicht hinterlassen. »Sorry, Mister, es ist einfach über mich gekommen. Ich stecke seit meiner Kindheit im Dreck. Je älter ich werde, um so tiefer sinke ich ein.«
»Es gibt
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