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Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Amerika
Autoren: Watzlawick Paul
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ausgesprochen wird. Die Zahl Null wird selten als zero oder naught , sondern meist (besonders am Telefon) mit dem Buchstaben O (o-uh ausgesprochen) wiedergegeben.
    Gelegentlich hat ein und dasselbe Wort in den beiden Ländern verschiedene Bedeutung. In Band 3 seiner Geschichte des Zweiten Weltkriegs erwähnt Churchill ein klassisches Beispiel: Die britischen Stabschefs hatten ein Expose vorbereitet, dessen sofortige Behandlung ihnen so wichtig erschien, daß sie ihre amerikanischen Kollegen ersuchten, to table it – was in seiner britischen Bedeutung »auf die Tagesordnung setzen« heißt. Was sie aber nicht wußten, war, daß im amerikanischen Englisch to table a paper den Sinn von »den Wisch in der Schublade verschwinden lassen« hat. Da aber auch den Amerikanern an der sofortigen Behandlung der Sache gelegen war, entbrannte eine lange und hitzige Debatte, bis es beiden Seiten schließlich dämmerte, daß sie von Anfang an gleicher Meinung gewesen waren.
    Weitere Probleme ergeben sich aus der vom englischen Englisch verschiedenen Aussprache derselben Worte. Der Buchstabe o in geschlossener Silbe behält im Englischen seinen o-Wert bei, während er in den USA praktisch zu einem a wird. Dadurch werden beispielsweise die englischen Worte not, hat, Bob, Tom im Munde des Amerikaners zu »nat«, »hat«, »Bab«, »Tam«. Hören Sie also das Wort »nat«, so können Sie es nur dem Zusammenhang entnehmen, ob der Amerikaner »nicht« (not) oder »Nuß« (nut) meint. Besonders verwirrend ist es mit can’t , das in England bekanntlich »kahnt« ausgesprochen wird, in Amerika dagegen »kähnt«, wobei außerdem das t halb verschluckt wird und es daher unklar bleibt, ob can oder sein Gegenteil can’t gemeint ist.
    Noch mehr als der Engländer hält es der Amerikaner für selbstverständlich, daß zum Beispiel schon die alten Römer sich der englischen Phonetik bedienten und daher die fünf Vokale a, e, i, o und u als »äh«, »ih«, »ai«, »o-uh« und »juh« aussprachen. Latein aus amerikanischem Munde klingt dementsprechend. Kompliziert wird der Sachverhalt zusätzlich dadurch, daß – wie Sie schon in Ihrer allerersten Sprachstunde bemerkt haben dürften – zwischen englischer Rechtschreibung und Aussprache ein nur sehr dürftiger Zusammenhang besteht. Es hat also wenig Zweck, wenn jemand, dessen Name zum Beispiel Tiefenbrunner oder sogar einfach Schiller ist, zu erklären versucht, daß sein Name so geschrieben wie ausgesprochen wird. Für den Angloamerikaner gibt es praktisch keine Worte, die man genauso schreibt, wie man sie ausspricht, und die eben erwähnte Bemerkung, die in allen anderen indoeuropäischen Sprachen Sinn hat, erhöht nur seine Verwirrung.
    Der Umlaut ü macht dem Angloamerikaner zumindest so viel zu schaffen wie vielen Ausländern das englische th . Ob er das ü wirklich nicht aussprechen kann oder ob ihm in der Schule bloß eingehämmert wurde, daß es sich dabei um einen »uh«- oder »juh«-Laut handelt, kann ich nicht beurteilen. Wollen Sie amerikanisch klingen, dann nennen Sie Debussys (»Debjùssihs«) Klavierstück »Klähr de lunn«; sagen Sie nicht Etüde, sondern »éttjuhd«, »Pastschuhr« statt Pasteur und »däbbjuh« statt Debut.
    Vergessen Sie ferner nicht, daß Fremdwörter im amerikanischen Englisch unerbittlich auf der vorletzten Silbe betont werden. Die Kuppel heißt daher »kjupóuhla«, die Gondel »gondóuhla« und die Stadt Modena natürlich »Modíhna«. Die von den Damen verwendete Augenwimperntusche wird »mascára« betont und Paprika Papríhka . In ähnlicher Weise werden Eigennamen vergewaltigt (von Namen wie Eisenhower und Kennedy abgesehen), wovon der Schreiber dieser Zeilen ein Lied singen könnte. Wenn Sie möglichst bald für einen wirklichen Amerikaner gehalten werden wollen, verwenden Sie also nur die korrekte Fehlaussprache nichtenglischer Worte und Namen. Der Komponist von Aida, La Traviata, Rigoletto und vieler anderer Opern heißt natürlich Wördi; die neckischen Dreiviertelhosen, die vor allem in Miami getragen werden und nach denen anscheinend auch eine Insel im Golf von Neapel benannt wurde, heißen Kaprih; der Name der Familie Rothschild setzt sich für den Angloamerikaner aus den beiden Wörtern »Roth« und »child« zusammen und wird daher » Ró th -tschaild « ausgesprochen; und ein früherer Außenminister heißt Kissindscher – und dies ungeachtet der Tatsache, daß es Nähmaschinen Marke Singer gibt, die nicht »Sindscher« ausgesprochen
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