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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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»Fötenerziehung«: Babys werden dabei schon im Bauch der Mutter mit Tang-Gedichten und den Streichkonzerten von Mozart beschallt, um ihnen eine bessere Startposition in dem Wettlauf zu sichern; schließlich teilt sich ein kleiner Chinese den Tag seiner Geburt mit 25000 anderen Neugeborenen im Land. Eine Bekannte kaufte sich zu dem Zweck eigens produzierte CDs von einer Firma mit dem Namen »Nanjinger Ungeborene-Babys-Universität«.
    Tang Xiaoyan ist eine Schanghaierin, die zum Studium nach Neuseeland ging. Zwei Monate nach ihrer Ankunft schrieb sie einen Brief an eine Schanghaier Zeitung, in dem sie der Frage nachging, warum die chinesischen Studenten an ihrer Universität so wenige neuseeländische Freunde hatten. »Der Fehler liegt bei den Chinesen«, meinte Tang Xiaoyan: »Sie studieren so hart wie nur möglich und haben keine Zeit mehr für andere Dinge.« Für ihre Landsleute sei das Studium nur Teil des Ringens ums nackte Überleben: »Der starke Konkurrenzkampf und der hohe Druck lassen junge Chinesen sehr pragmatisch werden, und sie opfern oft ihr Glück als Preis für ein besseres Leben.« Schanghaier Mädchen, hat Tang beobachtet, stellten heutzutage drei Forderungen an ihren prospektiven Ehemann: Geld müsse er haben, ein eigenes Haus und ein eigenes Auto. »Das hat die Bedeutung von Liebe komplettverändert – aber die Mädchen wissen, dass ihnen ohne Geld, Haus und Auto ein schweres Leben bevorstünde.«
    Wenn Sie in einen chinesischen Buchladen gehen, werden Sie feststellen, dass die prominenteste Auslage nicht der schönen Literatur vorbehalten ist, sondern Bergen von marktschreierisch beworbenen, oft aus dem Englischen übersetzten Selbsthilfetiteln à la »Wie ich es auf die Harvarduniversität schaffte«, »Millionär werden in einer Minute« oder »Chinas Juden: Die Geschäftsstrategien der Unternehmer aus Wenzhou«. Das liegt natürlich auch an der Natur des noch immer sensiblen Verlagsgeschäftes in China: Solche Titel verkaufen sich gut und sind politisch problemlos. Es passt aber auch zum gnadenlosen Konkurrenzkampf: »Der Prozentsatz von Chinesen, die vorankommen wollen, ist viel höher als in etablierten Ländern wie Amerika«, meint Peggy Yu, die Chefin von Dangdang.com, Chinas größtem Onlinebuchversand.
    Vorankommen in China: Die einen lernen dazu ein Fach, die anderen studieren die Wege der Partei. Ich möchte hier Hao Lulu vorstellen. Hao Lulu hat sich schön gemacht.
    Das dauerte ein halbes Jahr, aber dafür fühlt sich die 24-Jährige nun wie ein neuer Mensch. Drei habe sie schon erlegt, erzählt sie mir aufgekratzt. Ehrlich! Wahrscheinlich schnitzt sie mittlerweile Kerben ins Handschuhfach. Aber nein!, wehrt sie kokett ab. Gelangweilt habe sie auf dem Beifahrersitz gesessen und lediglich ihren Blick über Pekings kriechenden Verkehr schweifen lassen. Den zwischen neu gefalteten Lidern kunstvoll gefassten Blick. Bis der hängen blieb. An einem anderen Blick, aus einem vorübergleitenden Auto. Nichts anderes habe sie getan, beteuert Hao Lulu, als diesen fremden Blick festzuhalten. Ein wenig. Bis es krachte: Auffahrunfall. Drei Männer an drei Tagen, die lieber ihren Wagen riskierten, als den Blick dieser Frau zu verlieren. Sie habe beim Wegfahren jedes Mal fürchterlich lachen müssen. Sagt sie. »Ich bin ein schlimmes Mädchen, oder?« Schürzt unschuldig die Lippen. Die echten. Lacht. Und das Beste, platzt sie heraus: »Es waren ein Lexusund zwei Mercedes.« Nur vom Teuersten. Alles in allem, sagt Hao Lulu, fühle sie sich fantastisch.
    Die Lippen also sind unberührt: das Geschenk der Eltern. Ebenso die Zähne, das Kinn und ihre Hände. Der Rest dieser Erscheinung jedoch, die da vor uns sitzt, ist Menschenwerk, so viel Skulptur wie Natur. Dazu brauchte es ein Kabinett voller Skalpelle und eine junge Frau: Hao Lulu, Pekingerin, aus einfachen Verhältnissen. Der Vater ist Fußballtrainer, die Mutter Buchhalterin. Sie selbst hat das Edelsteingewerbe gelernt. Und das Hinschauen. »Schöne Menschen haben mehr Chancen«, sagt sie. So einfach ist das. Und dann: »Frauen sollten wissen, was sie wollen.« Die Frau hat sich nicht unters Messer gelegt, weil sie sich Selbstbewusstsein erkaufen wollte, sondern weil sie es hatte. Sie macht keinen Hehl daraus: Ich will etwas vom Leben, und ich weiß, wie ich’s kriege. Kein Wunder, dass Hao Lulu zum Medienereignis wurde: So eine passt in diese Zeit, an diesen Ort.
    Hao Lulu war nicht hässlich. »Gewöhnlich« wäre das Schlimmste, was man

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