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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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über sie hätte sagen können. Aber sie träumte von einer neuen Nase, mindestens seit sie 16 war, und die vor einem Jahr eröffnete Spezialklinik für Schönheitsoperationen brauchte dringend einen Energieschub für das sich zäh dahinschleppende Geschäft. Bao Huai, Marketingmanager der Pekinger Evercare-Klinik, hatte die Idee: Man suche sich ein nettes Mädchen, erneuere es von Kopf bis Fuß – und sammle anschließend die Schlagzeilen ein. Er sprach seine Bekannte Hao Lulu an, und die war begeistert. Ihre lebhafte Persönlichkeit war wie geschaffen für die Kameras der Fernsehsender, die sich auf die Geschichte stürzten: Das erste Mal ließ sich in China ein Mensch generalüberholen.
    Wie oft also haben sich die Ärzte in dem halben Jahr an ihr zu schaffen gemacht? Neu sind Augen, Nase, Hals, Busen, Bauch, Taille, Hintern, Ober- und Unterschenkel. »Wohl ein Dutzend Mal«, sagt die so Beschenkte. Stets verfolgen sie dieKameras. Und der Umsatz von »Evercare« legt mit jedem Mal so zu, dass Direktorin Li Jing sich auf Hao Lulu stürzt, wenn diese die Klinik betritt, und ihr mit spitzem Lachen entgegenruft: »Meine Kostbare! Meine Chefin!«
    Drei Kliniken hat »Evercare« mittlerweile in Peking, 120 Angestellte, drei Millionen Yuan Umsatz im Monat. »Fürs nächste Jahr planen wir eine Steigerung auf 40 bis 50 Millionen Yuan«, erzählt Direktorin Li. Im Ernst, eine Verdreizehnfachung? »Nur der Drogenhandel ist im Moment lukrativer«, sagt Bao Huai, auch er leicht berauscht.
    Längst beherrscht die Sorge um Aussehen und Schick den Alltag junger Frauen auch hier. Chinesinnen wie Hao Lulu sagen heute solche Sachen: »Ich träume von einem Leben als xiao zi , als Kleinbürgerin. Die trinken Tee mit Freunden, gehen ins Fitnessstudio, einkaufen – auf jeden Fall müssen sie sich keine Sorgen machen und nicht hart arbeiten.« Wenn Hao Lulu also Bewunderung gebührt, dann für ihren unbedingten Willen zum bürgerlichen Hedonismus – der in diesem Land den einen schicksalhaften Fang voraussetzt: den richtigen Ehemann. »Machen wir uns nichts vor«, sagt Hao Lulu: »Dies ist noch immer eine von Männern dominierte Gesellschaft.«
    Was stimmt. Und eigentlich ganz und gar ungerecht ist, wenn man sich die chinesischen Frauen ansieht. Starke Frauen, die Firmen gründen und Labors leiten und Busse fahren und störrische Wasserbüffel durchs Reisfeld treiben. Schlagzeilen macht die heute 50-jährige Zhang Yin, die mit dem Handel von Altpapier zwischen den USA und China zur Milliardärin wurde und die von einige Zeitungen zur »reichsten Selfmade-Frau der Welt« ernannt wurde (die Queen soll noch reicher sein). Mancherorts sind jedoch Rückschritte zu vermelden: Im Zentralkomitee der KP sitzen im Moment dreizehn Frauen unter 191 Männern. Auch bei den Massenentlassungen der maroden Staatsbetriebe trifft es ungleich mehr Frauen als Männer. Vielleicht die eindrücklichste Zahl: Noch immer ist Chinadas einzige Land der Erde, in dem mehr Frauen Selbstmord begehen als Männer. Es sind vor allem Bäuerinnen, die Gift schlucken.
    Eine der wenigen Erfolg versprechenden Strategien für den sozialen Aufstieg also lautet: Angle dir ein Alphamännchen. Und die Helfer von »Evercare« formen den Köder. »Seit Hao Lulu ist die Nachfrage nach Ganzkörperdesign hochgeschnellt«, berichtet Direktorin Li. Vier von zehn Kunden seien allein stehende, oft entmutigte Frauen. »Das Kapital einer Frau ist nun einmal ihre Schönheit.« Und der begehrte Preis, den man sich dafür einhandelt? »Ein Mann mit Auto und Haus soll es schon sein«, meint die Journalistin und Drehbuchautorin Meng Danfeng. »Als Mädchen in China ist deine einzige Chance ein wohlhabender Mann. Wenn du keinen ergatterst, dann schuftest du noch mit vierzig Jahren als Arbeiterin in einer Fabrik oder als Bäuerin auf dem Feld«, sagt eine befreundete Pekinger Malerin, die selbst nicht einmal Make-up auflegt: »Es gibt hier Eltern, die essen nur noch gedämpfte Brötchen und sparen sich so die Operation für ihre Tochter vom Munde ab. Ich kann das verstehen.«

 

Mätresse
     
     
    Accessoire wie das lederne Herrenhandtäschchen und die schwarze Audi-Sänfte mit den dunklen Scheiben. Die neue Elite gleicht sich immer mehr den alten Mandarinen an, die Wiederbelebung des Konkubinats war ein folgerichtiger Schritt. Unter Reichen und Mächtigen gehört es heute zum guten Ton, sich neben der Ehefrau eine er nai (wörtl.: Zweitfrau) zu halten, der man ein eigenes Appartement, einen

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