Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
eigenen Kleinwagen und eine Unmenge von Frauenhandtäschchen bezahlt. Die dann auf Drängen der Geliebten wiederum der Mann zu tragen hat als Signal an andere Frauen: schon vergeben. Ist nicht Liebe, ist Geschäft: Sex und Selbstbestätigung gegen Unterhalt. Auf der chinesischen Seite der Grenze haben Hongkonger Männer ganze »Mätressendörfer« eingerichtet. Bauernmädchen aus Sichuan oder Anhui dürfen sich dort eine Neubauwohnung aussuchen, in der sie im Gegenzug geduldig auf ihren ehemüden Pendler aus dem reichen Hongkong warten. Der Chinesische Frauenverband forderte für die untreuen Männer öffentlich Arbeitslager, kam jedoch mit dieser Forderung nicht weit: »Weil in diesem Land diejenigen, die sich Mätressen halten, identisch sind mit denen, diedie Gesetze machen«, vermutet ein Blogger. Die Regierung tut jedenfalls so, als sorge sie sich: »Bigamie und Konkubinat untergraben die soziale Moral«, klagte die Nachrichtenagentur »Neues China«, »und die Verwicklung von Beamten beschmutzt das Bild unserer Regierung.« In Kanton wurde der Mätresse des ehemaligen Vize-Polizeiminister Li Jizhou der Prozess gemacht, der wegen Korruption im Gefängnis sitzt. Am Schmuggel von 262 Luxusautos soll sie beteiligt gewesen sein. In der Stadt Jinan musste der Parteisekretär ins Gefängnis, weil er seine Geliebte in die Luft gesprengt hatte: Sie habe unablässig Geld gefordert, berichteten die Zeitungen. Den vorläufigen Rekord hält, in den Berichten der offiziellen Zeitungen zumindest, Parteisekretär Pang Jiayu aus der Stadt Baoji. Er soll nicht weniger als 11 Mätressen ausgehalten haben, in der Stadt nannten sie ihn auch »Sekretär Reisverschluss«. Die Parteipresse schlägt Alarm: In nicht weniger als neun von zehn Korruptionsfällen seien Konkubinen im Spiel. Was, wenn am Ende die Frauen die KP zu Fall brächten?
Freiheit. Oder:
Der Vormarsch des Privaten
China. Ein Land, in dem eine 22-jährige Studentin noch immer für ein Jahr im Gefängnis verschwinden kann, ohne Haftbefehl und ohne Gerichtsverfahren, ein Mädchen, das sich nicht mehr zuschulden hatte kommen lassen als einen feinen Sinn für Ironie (sie hatte im Internet vorgeschlagen, es sollten doch einmal alle in China für 24 Stunden aufs Lügen verzichten, oder noch besser: auf die Straße gehen und Marx und Lenin predigen, um so die Popularität des Sozialismus auszutesten). China gleichzeitig: ein Land, in dem sich Freiheit findet. Wenn einer nur schräg genug hinschaut, kann er sogar behaupten, auf eine Art sei man hier sogar freier als anderswo: »Du kannst hier aus vollem Halse singen, während du Fahrrad fährst oder dich im öffentlichen Badehaus abschrubbst – und wirst keine Aufmerksamkeit erregen«, sagte mir ein Pekinger Freund: »Du kannst tagsüber im Schlafanzug auf die Straße gehen, du kannst rückwärts durch die Stadt laufen oder im Park Bäume umarmen – und wirst nur einer unter vielen sein. Das alles ist in China normal. Außerdem kannst du nur hier alles essen, was auf Erden kreucht und fleucht.«
Du kannst außerdem mit der Dampfwalze Schweineköpfeplatt fahren und unter Glas legen, lebende Krebse zu einem sich bewegenden Vorhang zusammennähen oder ein paar Dutzend weiße Mäuse paarweise an den Rippen zusammenoperieren, sie in ein Goldfischglas setzen und dir so einen Namen als Avantgardekünstler machen. Wenn es mit der Aufmerksamkeit durch europäische Kuratoren trotzdem noch nicht so klappt, dann bietet sich der Gang in die Pathologie eines Krankenhauses an, wo sich immer Personal findet, das dir einen frischen Leichnam verkauft. Wenn es tote Babys sind, dann kannst du sie in eine Installation einbauen und dein frisch gezapftes Blut in ihre Münder fließen lassen, wie wir das an einem Karsamstag am Pekinger Bildhauerinstitut erleben durften. Du kannst dir auch ein Stück von dem toten Baby abschneiden und hineinbeißen. Der Künstler Zhu Yu hat das in seiner »Menschenfresser« benannten Performance in Schanghai getan und hinterher erklärt: »Ich habe mein Werk auf die Lücke zwischen Moral und Gesetz aufgebaut.«
China hat mittlerweile eine rührige Szene moderner, junger Kunst, die sich in Vororten und in stillgelegten Fabrikhallen der Städte zusammenrottet und dort Farben und Formen derart konterrevolutionär und wunderbar individualistisch zu Leibe rückt, dass man sich wundern muss, warum sich der auf dem Platz des Himmlischen Friedens einbalsamierte Mao noch nicht zur Wiederauferstehung samt
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