Gebrauchsanweisung für die Welt
vom Jenseits ausreden und ihm zurufen, dass wir nur einen heiligen Platz haben und nur ein heiliges Leben: die Erde und das bisschen Lebenszeit, das uns auf ihr vergönnt ist.
Doch wie gut, dass wir uns im Laufe der vielen Jahre noch ein paar andere Fortbewegungsmittel zugelegt haben. Da ja auch die muskulösesten Waden irgendwann müde werden und da der Mensch so oft so unheimlich klug ist, hat er – und das ist die Mutter aller mechanischen Erfindungen – das Rad entdeckt. Wüssten wir den Namen dieses Vorfahren (Vorfahrin?), wir müssten ihm (ihr) posthum alle möglichen Nobelpreise umhängen. Denn das Rad ist eine Sensation und jedes Mal, ja, jedes Mal, wenn ich auf meinem Fahrrad sitze, überkommt mich dieses sensationelle Gefühl. So leise ist es, so schwungvoll, so nervenschonend, so energisch fordert es meinen Körper, meine Aufmerksamkeit, meine Lust, gewitzter zu sein als alle (Pariser) Autofahrer, die meist stillstehen und grimmig einen vorbeiziehen sehen, der es nicht einmal auf eine halbe Pferdestärke bringt. Ich bin dann Triumphator, der sich rühmt, zwei, drei Dinge radikaler kapiert zu haben als die Einsamen in ihren Blechkisten: die ungut riechen, heftig lärmen und nur mühsam vom Fleck kommen.
Nun, ich will hier nicht als Latzhosenträger mit Birkenstockschuhen auftreten. Autos haben ja auch Räder und durchaus unnachahmliche Vorteile. (Sagen wir, vor den Stadttoren.) Zudem können sie zum Weinen gut aussehen. Natürlich nicht das Massenblech, das hundertmillionenfach als hässliche Warze unsere Straßen verstopft. Aber mit einem gelben MG Cabrio über die Prärien Kanadas flitzen, so nebenbei auf das fliegende Haar der Freundin blicken und gleichzeitig mit Vollgas in eine Tiefenschärfe hineinfahren, die wir in Europa nicht mehr kennen: lauter Klischees, die ich ohne einen Wimpernschlag schlechten Gewissens genossen habe. Mit Celeste wollte ich auf keinem Tandem sitzen, mit ihr wollte ich angeben und schnell sein und mich einmal mehr vergewissern, dass nichts Schöneres ist als die Schönheit einer Frau und – gleich dahinter – die Schönheit der Welt.
Ich bin also nur zeitweise Autohasser. Zu oft habe ich die Dinger gebraucht, zu oft bin ich mit ihrer Hilfe an Orte gelangt, an die mich kein anderes Gefährt transportiert hätte. Ob als Reporter oder einer wie all jene, die nach Landschaften und Erdbewohnern hungern. So sollte als Punkt 376 der Bedienungsanleitung für die Welt stehen, als ganz schlichter Hinweis: Führerschein besorgen! »B« für die Automobile und »A« für die Zweiradfreaks, für die – amtlich – »Krafträder«. Dank eines umtriebigen Bruders saß ich als Vierzehnjähriger auf einem Vespa-Moped, später auf einer DKW 250, zuletzt auf einer Moto Guzzi V7 (700 ccm). Der Ältere war so geduldig mit mir (auf abgelegenen Landstraßen), dass ich für die Prüfung genau eine offizielle Fahrstunde absolvieren musste.
Zwanzig Jahre später bat mich die Redaktion von GEO, eine Reportage über die Route 66 zu schreiben, die erste, 1926, eröffnete Herzschlagader Amerikas, die zweispurig und asphaltiert von Ost nach West, von Chicago nach Kalifornien, führte – 3500 Kilometer lang. Und hätte ich das Motorradfahren nur für dieses eine Mal gelernt, ich hätte nichts bereut: Ich kann nicht sagen, ob es eine Straße gibt, auf der sich mehr Märchen, Wunderlichkeiten, Wahnsinn, zerbrochene Träume und phänomenale Wonnen abspielten. Sie hat alles gesehen. Immer hat sie irgendwen zu einer Großtat verführt: Ein 78-Jähriger schob seinen Schubkarren von L. A. zum Michigansee, einer transportierte seinen Rucksack die volle Strecke in einem Einkaufswagen, der dritte ruhte nicht eher, bis er Frau und sieben Kinder in einem Leichenwagen an den Pazifik gekarrt hatte, der vierte probierte den Highway mit einem arabischen Wallach aus, die nächsten Tausend rannten um die Wette, im Laufschritt, im Stechschritt, im Galopp. Fröhliche, bärenstarke Spinner, die genau das befolgten, was im Refrain des berühmtesten Songs über sie zu hören war: »Get your kicks on Route SIX-TY-SIX!« Lass die Sau raus, hol dir den Kitzel, das Feuer, die pure Lust. Nat King Cole hatte den Schlager zum ersten Mal gesungen, viele Musiker haben es ihm nachgemacht, bis hin zu den Manhattan Transfer und den Rolling Stones .
Ich weiß es noch genau: Als ich in Albuquerque mit einer geliehenen Kawasaki CSR 1000 losfuhr – einem Truck auf zwei Rädern, mit fast hundert PS und Rückwärtsgang –
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