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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Nichtraucher), die ewig gleiche Sicherheitshysterie, die ewig gleichen Zumutungen für Leib und Seele, die ewig gleichen Zentren moderner Finsternis.
    Und das alles, um nach einem Zweistunden-Prozedere – hat einer Glück! – in einem Gerät Platz zu nehmen, das konstruiert wurde, um etwa 250 Menschen hineinzupferchen. Jeder gesparte Zentimeter dient dem Profit des Unternehmers. Wie die schlechte Luft, die es nun acht oder neun oder zehn Stunden auszuhalten gilt. Wie die Fußfreiheit für Pygmäen, wie der lauwarme Kantinenfraß aus Plastiknäpfen, wie die wenig sauberen Aborte, wie das Unterhaltungsprogramm mit Filmen voller Bruce-Willis-Bimbos oder orientalisch hochtoupierter Kreischerinnen, wie, Gipfel des Entzugs, die Unfähigkeit, je einen Quadratmeter Welt sehen zu dürfen. Man ist das festgezurrte Vieh, das von A nach B verfrachtet wird. Basta.
    »Nur Fliegen ist schöner«, lautete vor Jahren ein Werbespruch. Schöner als was? Als Bruchlanden? Das Gemeinste: Flugzeuge haben eine Monopolstellung. Erst wenn Captain Kirks Aufforderung – »Beam me up, Scotty« – Wirklichkeit geworden ist, können wir auf sie, freudeschreiend, verzichten. In der Zwischenzeit leisten wir – wir alle, die drinsitzen – unseren Beitrag, um den Planeten in den CO 2 -Erstickungstod zu treiben.
    Die Moral der Geschichte: Flugzeuge desertieren und zum Feind, zur Konkurrenz, überlaufen. Zu einer der grandiosesten Neuheiten, die uns das neunzehnte Jahrhundert geschenkt hat. Dank eines gewissen Mister George Stephenson, dem Erfinder der Sensation, der sich – mitsamt Arbeitern und Honoratioren – an einem 27. September 1825 in einen »Wagen« auf Schienen setzte und loslegte. Und weitertüftelte. Und irgendwann das herauskam, was wir heute Eisenbahn nennen.
    Ich könnte ein halbes Buch mit den Trümpfen und Vergnügungen vollschreiben, die eine Fahrt in einem Zug bereithält. Erste Freudenträne: der Bahnhof, wie menschenfreundlich. Keiner bremst mich, keiner treibt Schindluder mit meiner Lebenszeit, keiner greift mir in den Schritt, keiner fordert mich auf, wie ein Hampelmann die Arme in die Luft zu strecken, keiner will meine Cremedöschen und nackten Fußsohlen sehen. Hier machen sie es anders. Und ich brauche mich nur nach dem Gleis zu erkundigen und darf nonchalant einsteigen. Und setze mich auf einen freien Platz. Mit lang ausgestreckten Beinen.
    Noch besser wird der Tag, wenn ich sogleich zum Speisewagen abbiege und einen Fensterplatz belege. Der Märchenplatz. Denn fünf Minuten später spürt man das erste Rucken und nun beginnt ein Zustand, der über Suchtpotenzial verfügt. Weil jetzt ein Frühstück kommt, ein Kaffee, weil ich Zeitungen und Bücher auspacke, weil links und rechts das Weltkino beginnt, weil ich schauen darf, weil endlich – sobald der Zug an Geschwindigkeit zugenommen hat – der Höhepunkt ausbricht, der mit wundersamer Gleichmütigkeit noch einmal den Glücksquotienten hebt, mitten hinein in den Körper, in die Sinne: das Tuckern, der Herzschlag des Zugs. Wie ein Glückskind halte ich dann still, mache nur kleine Bewegungen, bin sicher, dass es in meinem Leben gerade nicht schöner werden kann, da alles, alles da ist: die Welt sehen. Dann lesen und innehalten, um einem bewegenden Satz nachzufühlen. Dann wieder die Welt erblicken und die Augen schließen, um – ähnlich ergriffen wie von verführerischen Wörtern – das Gesehene zu verdauen. Wie ein Mensch Zeit braucht, um Leid zu verkraften, so braucht er Zeit für die Schönheit der Welt. Sie ist eine Wucht, sie ist der Himmel auf Erden.
    Dass Zugfahren in Indien das restlose Glück beschert, weiß jeder, der schon einmal dabei gewesen ist. Und natürlich begann alles sehr indisch: Am 16. April 1853 setzte sich um 15.25 Uhr der erste Zug des Landes in Bewegung. In Bombay. Die Presse berichtete, dass das Volk wieder einmal überwältigt war vom Genie der Engländer. Da es keine Pferde und Ochsen entdeckte, die vorne die vierzehn Waggons mit den vierhundert geladenen Gästen zogen, vermutete es, dass »the wonderful white man« wieder gezaubert und Dämonen und andere wunderliche Kräfte eingesetzt hatte. So brachte es Kokosnüsse und andere »besänftigende Opfergaben«, um den überirdischen ag-gadi , den Feuerwagen, die wild speiende Dampflok, zu begütigen.
    Inzwischen hat sich die Bewunderung für die Weißen gelegt, nun werden die Inder selbst um vieles beneidet. Geblieben ist die wunderliche Aura, denn in keinem anderen

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