Gebrauchsanweisung für die Welt
und durch das von den Göttern geschmiedete New Mexico brauste, da dachte ich an die 81 Mark, bitter und zäh gespart, die mich der A-Führerschein gekostet hatte. Und mir kamen die Tränen – des Glücks. So muss Punkt 377 der Anleitung zur Welt lauten: Verzichten lernen! Damit die größeren Träume gelingen. Nicht zuhören den Dünnmännern (und Dünnfrauen), die uns rastlos jeden dämlichen Gimmick aufschwatzen wollen. Aber nie einen Veitstanz der Freude im Angebot haben, nie den Blick in das blaue Wunder Himmel, nie das verheerend umwerfende Gefühl, am Leben zu sein.
Nun, die exotischen Hilfsmittel der Fortbewegung sind in ein paar Zeilen abgehandelt. Ich habe es sogar auf den Rücken eines Elefanten und eines Kamels geschafft. Als Touristengaudi. Vielleicht habe ich insgesamt fünfhundert Meter durchgehalten. Dann musste ich wieder absteigen. Mit einem Gefühl, das ich bereits vor dem Hochklettern hatte kommen sehen: zu behäbig, zu verbummelt. Herrliche Tiere, aber ja. Groß und stolz, aber jaja. Wochen später las ich einen Satz von Théodore Monod, dem Wüstenmann, dem Wüstenforscher, der mich beruhigte, denn der Franzose sprach es knallhart aus: »Man langweilt sich furchtbar, ein Tagesritt auf einem Kamel ist tödlich, man kann nie lesen.«
Irgendwann sattelte ich auf einen Esel um. Ganz unherrlich, zudem struppig und nie und nimmer vom Aussterben bedroht. Aber nach einem kräftigen Klaps auf die rechte Hinterbacke fing er zu wetzen an. Sobald ich eine Ahnung von Fahrtwind spürte, verliebte ich mich in ihn. In »Texas«, so hieß das Muli. Mitten in Thailand. Wir schafften es sogar jeden Tag ins nächste Dorf, dort gab es ein Café. Und ich war dann endlich das, wovon ich als Kind schon geträumt hatte: Cowboy, der seinen Gaul anbindet und den Saloon betritt. Dann allerdings kam der Stilbruch, denn statt eines Colts zog ich ein Buch. Trotzdem, es war wunderschön. Lesen, rauchen und draußen vor der Tür Texas, der treu auf mich wartete. Bis wir zurückstiebten.
Auf hohe See mag ich auch nicht. Nicht als Held, der den Gewalten trotzt und über den Atlantik rudert. Nie gewagt. Nicht als Passagier auf Dampfern, die ganze Erdteile verbinden. Gewagt und depressiv zurückgekehrt. So exquisit fad war es, so gefangen auf hundert mal zweihundert Metern fühlte ich mich mit tausend anderen Gefangenen. Ich bin Landratte, ich mag den Boden spüren.
Sobald ich anfange, an die Zukunft zu denken, will ich abhauen dürfen. Was ja mitten auf einem Weltmeer nicht funktioniert. Solche Phantasien sind ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich mich am verkehrten Ort befinde. Weil ich aufhöre, im Augenblick zu leben, weil der Kopf längst den Leib verlassen hat und sich in anderen Weltregionen herumtreibt. Wo er mehr Aufregung und Innigkeit vermutet als im Hier und Jetzt auf dem Luxusschiff.
Folglich, fett anstreichen im Brevier des Reisenden: Vor dem Kauf eines Tickets sehr achtsam Hirn und Herz befragen. Ob sie das wirklich wollen. Ob es dem eigenen Naturell zuträglich ist, dem Verlangen nach Intensität, der Sucht nach Leben und Erkenntnis. Ob einer süchtig ist nach täglich sieben (ich war da!) geregelten Mahlzeiten und der immer gleich müden Aussicht aufs Wasser? Ich zweifle. Wenn zudem noch am Tisch – drei Wochen lang – die fünf handverlesen griesgrauesten Zeitgenossen Mitteleuropas sitzen, dann hat der Zweifel ein Ende und man weiß: Hier bin ich falsch. Hier will ich nie wieder sein. Hier bin ich tot.
Bevor ich zum Höhepunkt komme, zum Vehikel aller Vehikel (lateinisch vehiculum/W agen, Sänfte, Fuhrwerk), zum absoluten Traumgefährt, sei noch kurz ein Abstecher in den Albtraum erlaubt: ins Flugzeug. Reden wir nicht von abenteuerumwehten Helden wie Antoine de Saint-Exupéry, der in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts mit einmotorigen Maschinen von Marseille nach Buenos Aires flog (und zurück), nicht vom Schneider von Ulm alias Albrecht Ludwig Berblinger, der am 31. Mai 1811 gegen 17 Uhr tollkühn in die Donau flog (statt wie geplant über sie), reden wir von den modernen Zeiten, reden wir von Airbus, Boeing, McDonnell Douglas und Co.
Schon die Häfen, in denen sie andocken, sind diese Nicht-Orte, die in jedem sensiblen Zeitgenossen einen Brechreiz auslösen: die weltweite Gesichtslosigkeit, die hässliche Uniformität, die ewig gleichen Boutiquen, die ewig gleichen Duty-free-Shops, die ewig entwürdigenden Gaskammern für Raucher, die ewig entwürdigenden Toiletten (auch für
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