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Gebrauchsanweisung für die Welt

Gebrauchsanweisung für die Welt

Titel: Gebrauchsanweisung für die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Hochgefühl, diese leichte, friedfertige Trance. Ich bin in diesem Augenblick eben nicht – Himmel, was für ein dümmliches Klischee – das nichtige Sandkorn im Universum, nein, ich fühle mich »ganz«, eher unverwundbar, meiner Existenz sicherer als irgendwo sonst. Auf seltsame Weise beschützt die Wüste. Sie ist melancholisch. Wie in der Nähe von melancholischen Zeitgenossen werde ich milder. Endloses Wasser macht mir Angst, endloser Sand treibt sie mir aus.
    Meine Lieblingswüste ist die Sahara. Das war. Denn nun ist das Sanfte verschwunden. Um Platz zu machen für das Gewaltsame. Natürlich, Menschenschmuggel nach Europa gab es schon lange, aber heute ist er zu einer Industrie geworden. Schwarzafrika – ich behaupte das jetzt provokant – hat keine Zukunft. Am genauesten wissen das die Afrikaner, die in Heeresstärke ihre Länder verlassen, um nach Europa zu fliehen. Für ein paar Tausend Euro pro Flüchtling dürfen sich zwanzig Männer und Frauen auf einen Pick-up drängen. Um drei Monate oder drei Jahre – manchen geht das Geld aus und sie müssen jobben – unterwegs zu sein.
    Zweites Minus: die Wüste als Transportscheibe für Schmuggelware. Früher kaum störend, doch heute hat sich auch hier die Lage dramatisiert. Schleuste man einst Benzin, Zigaretten, Maschinenpistolen und Haschisch, so wird heute – mit aller Brutalität, die solche Unternehmen mit sich bringen – im großen Stil Kokain verschoben. Per Kamel, per Landrover, per Flugzeug.
    Zuletzt das ewig gleiche Problem, die ewig gleiche afrikanische Krankheit: Tribalismus. Sie ist fast so alt wie der Kontinent: bewaffnete Konflikte zwischen ethnisch verschiedenen Gruppen. Um Land, um Leben, um Frauen, um Wasser, um Vieh, um den einen und wahren Herrgott. Dass die Kämpfe an Schärfe gewinnen, liegt an einer unfehlbaren Logik: der dortigen Bevölkerungsexplosion, weltweit unschlagbar. Waren es 1950 etwa 220 Millionen, so werden es hundert Jahre später zwei Milliarden Afrikaner sein. Die heutigen Zahlen, 850 Millionen, bestätigen den Trend.
    Doch bedrohlicher als die erwähnten Probleme klingt für Reisende die Nachricht, dass inzwischen El Kaida hier eingezogen ist, unter dem lokalen Firmennamen AQMI ( Al-Qaïda au Maghreb islamique ). Radikalislamistische Todesengel, die gern in Blut baden. Wer ihnen als Tourist – und Touristen sind immer weiß und »ungläubig« – in die Hände fällt, hat nichts zu lachen. So gilt das Herz der Sahara heute als unbetretbar.
    Die einzig gute Nachricht: Sogar die Rallye Paris – Dakar wurde vertrieben. Vollgasdeppen brettern jetzt nicht mehr durch afrikanische Dörfer. Aus Angst, enthauptet zu werden. O.k., ein »von Allah geweihtes Schwert« – benutzt als Guillotine – hätten sie nicht verdient, aber zehn Peitschenhiebe auf ihren arroganten Arsch zweifellos. Auch sie sind Reisende, die Rennfahrer, aber von einer Gebrauchsanweisung für die Welt wollen sie nichts wissen. Sie gebrauchen die Welt, korrumpieren mit Koffern voller Scheine die zuständigen Präsidenten-Clans, um – mit Lastwagen (!), Motorrädern und Autos – mitten durch die »Vierte Welt« rasen zu dürfen. Wie Wildsäue – Tote und Verletzte, auch unter den Zuschauern, auch unter Kindern – räuberten sie durch Länder, die von vielem profitieren könnten, nur nicht von Herrenreitern, die noch immer nicht begriffen haben, dass Afrika nicht mehr ihr Leibeigentum ist.
    Ich will eine Geschichte erzählen. Eine von Millionen, die in der Sahara geschehen sind. Eine gute. Und die, sobald die religiösen Mordgesellen vertrieben sind, wieder geschehen wird. Nicht als dieselbe, aber eine, die ähnlich klingt. Nach Sehnsucht, romance und unvergleichlicher Welt. Wenn ich heute an sie denke, weitet sich mein Herz. So innig begann die Story, so voller Versprechen.
    Ich reiste von der Hauptstadt Algier Richtung Süden. Von einer Oase zur nächsten. Als ich in El Golea, irgendwo mittendrin, neben ein paar Dattelpalmen auf den Bus wartete, kam ich mit zwei jungen Frauen ins Gespräch. Sie wollten ebenfalls nach Tamanrasset. Wir vereinbarten, dass sie sich in das Vehikel stürzen und ich mich um das Verstauen unserer Rucksäcke kümmern würde. Die Arbeitsteilung als Maßnahme, um im Gewühl drei Sitzplätze zu beschlagnahmen. Das funktionierte, bei der Abfahrt belegten wir die hinterste Bank, den aussichtsreichsten Platz. Als der Beifahrer kam, um das Fahrgeld zu kassieren, sah ich in seine Augen. Tuareg-Augen. Ich glaube,

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