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Gebrauchsanweisung fuer Indien

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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einer aus der Großfamilie es schafft, einen Job in den USA zu bekommen, zieht das seine Kreise. Er gilt als Vorbild, zur Nachahmung empfohlen. Zwar spricht Natu Patel von einem neuen Trend, nicht jedem Angebot aus den USA hinterherzulaufen, doch noch hält der Exodus der hochgebildeten Söhne und Töchter der Mittelklasse an.
    Auch Mini Khanna, Marketingleiterin bei PCS, der größten Firma in dem SEEPZ-Komplex, berichtet von Kollegen, die aus den USA wieder nach Indien zurückgekehrt seien. »Wir erleben den Anfang eines umgekehrten Trends. Die guten Leute merken, daß sie in ihrer Heimat genausoviel verdienen können, manchmal sogar mehr. Und sie werden hier benötigt!« Zwar verlassen jährlich siebzigtausend Computerfachleute die indischen Universitäten, aber das deckt kaum mehr die nationale Nachfrage. Wenn der Boom anhält, könnte der Bedarf allein in Indien die Zahl der Absolventen weit übersteigen.
    Vielleicht stehen der Welt in Zukunft nicht nur Verteilungskämpfe um Wasser und Bodenschätze bevor, sondern auch um indische Experten. Da es die meisten Programmierer nach England oder in die USA zieht, hat Deutschland in diesem Wettkampf schlechte Karten. Die Fähigeren machen sich in Reeboks (importiert) und Mustang-Jeans (aus heimischer Produktion) auf den Weg ins Silicon Valley.

4. Maya

    Maya (Sanskrit, »Illusion« ): 1. Die mysteriöse schaffende Kraft Gottes. 2. Eines der zentralen Konzepte in der philosophischen Richtung der Advaita, die kosmische Illusion, daß die phänomenale Welt real existiert. Maya ist die Kraft, die die Unendlichkeit Gottes als irdische Endlichkeit präsentiert, von den Menschen aufgrund von Ignoranz und der Beschränktheit ihrer Sinne als wirklich empfunden. Mit anderen Worten: In der Dunkelheit glaubt der Mensch, das rettende Seil sei eine Schlange. 3. Zauberei. 4. Betrug. 5. Charisma.

    Ob in Taxis oder in Bussen, irgendwo auf dem Armaturenbrett oder vor dem Rückfenster hängt, klebt, steht, baumelt eine kleine Gottheit, ein niedliches Miniaturidol, das Bild eines Heiligen, umrahmt von glühenden Lichtern, die unentwegt blinken. Die Busse halten vor Tempeln, Priester steigen ein und gießen heißes Öl in jede spendende Hand. Die Tage werden punktiert von dem Schlag der Tempelglocken, von dem Ruf des Muezzins, von den Gesängen, die aus offenen Türen in die Straßen strömen, auf denen Eremiten mit Bettlerschalen Almosen im Tausch gegen Segen anbieten.
    In Indien ist die Religion allgegenwärtig. Wer nichts anderes über Indien weiß, hat zumindest dies vernommen. Seit Europäer von Indien schwärmen, gestehen sie sich ein, Indien sei weise, der Westen hingegen oberflächlich, Indien sei spirituell, der Westen materialistisch. Wie wäre es aber, wenn wir die fremde Welt des verdichteten Glaubens mit Hilfe eines ihrer zentralen Konzepte zu begreifen versuchten? Da gemäß der Vorstellung von Maya der Mensch nur das sieht, was nicht wirklich ist, und all das, was wirklich ist, nicht erkennt, müßten wir zu der Erkenntnis gelangen, daß auch die indische Religiosität eine Mirage ist, ein orientalischer Regenbogen.
    Denn wie ist diese angeblich alles durchdringende Spiritualität vereinbar mit der Tatsache, daß die indische Philosophie unzählige Atheisten, Zyniker, Materialisten und Agnostiker hervorgebracht hat, und zwar – das ist das Besondere daran – parallel zu der Dominanz der Religion und nicht erst nach Machtübernahme der Rationalisten? Wie der Nobelpreisträger Amartya Sen schreibt: »Nicht nur hat Sanskrit einen umfangreicheren Kanon an religiöser Literatur als jede andere klassische Sprache, es kennt auch eine größere Anzahl agnostischer und atheistischer Texte als jede andere klassische Sprache.«

    Wer weiß es schon? Wer soll es hier verkünden?
    Woher sie kam, woher sie stammt, die Schöpfung?
    Götter waren später, da ward das All geschaffen.
    Wer weiß schon, woher sie sich erhoben hat?
    Woher hat diese Schöpfung sich erhoben,
    ist sie geschaffen oder unerschaffen, der eine nur,
    der auf sie blickt aus höchster Himmelssphäre,
    er weiß es, oder er weiß es nicht?
    (Rigveda: 10 129)

    Auch wenn die alten Philosophen immer wieder ihre Treue zu den Veden verkündeten, hat dies keineswegs ihre Freiheit, spekulative Ausflüge zu unternehmen, eingeschränkt. Im Gegenteil, die Anerkennung der Veden war für viele ein bequemer Weg, den konservativen Kräften die philosophischen Eigensinnigkeiten schmackhaft zu machen. In der indischen

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