Gebrauchsanweisung fuer Indien
Süßigkeiten, Girlanden oder Räucherstäbchen nötig sind, nicht einmal Tempel und Priester. Gott, sagt die innere Stimme, ich gebe dir Rosenblätter, ich gebe dir Jasminblüten, ich gebe dir Räucherstäbchen, ich gebe dir Licht, ich gebe dir alles. »Bei Manas Puja kannst du Gott sogar Diamanten überreichen«, sagt Guru-ji und lacht. »Du gibst alles, und doch gibst du nichts.«
Maya über Maya.
Nun könnte man dem Trugschluß erliegen, eine Kultur, die von der Vorstellung der Maya durchdrungen ist, sei von Zensur befreit, denn nur jene Alchimisten, die Bedeutungsvielfalt in Wortwörtlichkeit umwandeln, fühlen sich von Aussagen so sehr bedroht, daß sie diese verbieten müssen. Und doch werden gerade in Indien die Sensen der Zensur eifrig geschwungen. In was für eine Teufelsküche man kommt, wenn man Kunstwerke mit der Elle politischer Korrektheit mißt, konnte man in den letzten Jahren mehrmals erleben.
Da sich die indischen Behörden nicht auf die Umsicht der Regisseure verlassen mögen, muß jede Produktion einer Zensurkommission vorgelegt werden. Nur mit dem Siegel dieser Instanz kann ein Streifen darauf hoffen, in die Kinos zu gelangen. Wenn die Zensurstelle einen Film zum großen Ärger der Rechtgläubigen ohne Beanstandungen ihr Siegel verleiht, muß der Zorn der Massen angerufen werden. Verängstigt nehmen die Kinobetreiber den Film wieder aus dem Programm, eifrige Politiker verweisen ihn nochmals an die Zensur (die er ein zweites Mal problemlos passiert).
Besonders schlimm erging es dem Regisseur Mahesh Bhatt mit seinem Film ›Zakhm‹ (Wunde), der sich dem heiklen Thema der blutigen kommunalen Unruhen widmet, die Anfang 1993 in Bombay knapp zweitausend Menschen das Leben kosteten. In der etwas konstruierten Geschichte wächst ein unehelicher Junge als Hindu auf, seine Mutter aber führt im Verborgenen ihre islamischen Traditionen fort. Äußerlich nicht als Muslima erkennbar, wird sie während der Unruhen von einer Moslem-Gang angezündet. Im Krankenhaus erfährt ihr Sohn den wahren Glauben seiner Mutter. Im selben Krankenhaus wird auch einer ihrer verletzten Mörder behandelt. Nach ihrem Tod will eine aufgestachelte Meute von Hindus nicht nur den Mörder lynchen, sondern auch die Leiche der Frau entgegen ihrem letzten Wunsch nach Hindu-Brauch kremieren. Obwohl der Regisseur seine Geschichte ohne einseitige Schuldzuweisung und Schwarzweißmalerei erzählt, zwang ihn die Zensurbehörde nach monatelangen Verhandlungen zu einer Vielzahl von Veränderungen. Nicht akzeptabel waren etwa die orangefarbenen (die Farbe des politischen Hinduismus) Stirnbänder mancher Männer im Mob, worauf der Regisseur sie digital schwarz nachfärbte. Entfernt werden mußte auch die Szene, in der ein Polizist einen Moslem erschießt (obwohl dies nachweislich geschehen ist). Zudem mußten einige Szenen neu gedreht werden. Abgesehen vom künstlerischen Verlust erlitt Mahesh Bhatt angesichts des verspäteten Starts und der hohen Zinsen auf das geliehene Produktionsgeld erhebliche Einbußen. Zufällig traf ich, kurz nachdem der Film unter die Lupe der politischen Korrektheit genommen worden war, einen hochrangigen Polizeibeamten, der sich auch mit ›Zakhm‹ beschäftigt hatte. »Wir haben jene Szene beanstandet«, erklärte er mir, »in der die Polizisten sich mit dem Hindu-Mob solidarisieren. Das wirft ein schlechtes Licht auf die gesamte Polizei!« Ich fragte ihn, ob er sicher sei, daß es solche Fälle nicht gegeben habe. »Überall gibt es schwarze Schafe, aber die kann man nicht mit der Polizei an sich gleichsetzen.«
Diese Denkweise ähnelt auf gespenstische Weise den Einwänden radikaler hinduistischer und islamischer Gruppen: Der einzelne steht für die Gesamtheit, sein Fall wird als Prinzip verstanden. Folgerichtig darf eine Figur, die einer bestimmten (Glaubens-) Gemeinschaft zugeordnet werden kann, keine Untat begehen. Der Mißerfolg dieser Haltung in Indien ist horrend: Seit 1947 werden die Schrecken der Teilung unter den Tisch gekehrt, und in dem darauffolgenden halben Jahrhundert ist es im ganzen Land zu mehr als zwölftausend kommunalen Ausschreitungen und Massakern gekommen. Bei den Unruhen Anfang 1993 wurden in Bombay Rachegefühle durch Mythen aus der Zeit der Teilung entfacht (»Die sind wie jene, die damals unsere Frauen vergewaltigt haben«).
Der Einwand, das Thema sei heikel, die Wunden der Vergangenheit sollten nicht aufgerissen werden, erschlägt jede kritische Auseinandersetzung mit der
Weitere Kostenlose Bücher