Gebrauchsanweisung fuer Indien
of India‹ gehört, bei der Premiere, man habe eingedenk einer hehren indischen Tradition einen symbolischen Namen gewählt und nicht wie im Westen üblich etwas Nichtssagendes à la ›Jack oder Jill‹. ›Radio Mirchi‹ sei »nicht nur ein Markenartikel, sondern ein Versprechen an unsere Zuhörer«. Die Premierengäste wurden von Kellnern bedient, die sich als Chilis maskiert hatten, und neben dem Direktor stand eine ehemalige Schönheitskönigin im paprikaroten Minirock. Radio Mirchi war offenkundig eine scharfe Sache!
Als neugieriger Zuhörer stellte ich gleich am nächsten Morgen die Frequenz meines Empfängers auf 98,3 FM. Meine Enttäuschung war grenzenlos. Dem würzigen Sender mangelte es an Inhalt, an jedweden Nährstoffen. Das Chili war reiner Selbstzweck, und wie unerträglich dies ist, weiß jeder, der einmal in eine solche Schote hineingebissen hat. In den ersten Wochen fehlten sogar die zweiminütigen Kurznachrichten, die ansonsten als Feigenblatt für reinen Eskapismus herhalten müssen. Junge Frauen, die einen Schnellkurs in Sprechtechnik absolviert hatten und beim Reden hörbar auf gedehnte Vokale und betonte Endsilben achteten, füllten die Löcher zwischen den Songs mit Albernheiten über Liebe, Romantik und Film. »We’re going to have fun« plärrten sie und wiederholen dieses Mantra (siehe Kap. 1) wie ein nicht erhörtes Gebet. Als das Gespräch mit einem Hörer zufällig das potentiell ernste Thema der Inflation streifte, wurde im Handumdrehen der passende Scherz ausgeschüttet: »Hauptsache, die Preise für Gewürze steigen nicht an!«
Chilis sind assimilierte Inder. Ursprünglich stammen die Schoten aus Lateinamerika. Prähistorische Funde in Peru beweisen, daß Chili in rauhen Mengen lange vor Ankunft der Europäer angebaut wurde. Die ersten Samen wurden schon 1493 nach Spanien gebracht, und von dort aus verbreitete sich die scharfe Paprika rasch in ganz Europa und gelangte kurz darauf – wahrscheinlich auf einem portugiesischen Schiff – bis nach Indien.
Im südlichen Indien ist die Hitze allgegenwärtig und das ganze Jahr hindurch beständig. Die Farben der Landschaft sind längst verblaßt, allein die roten Pigmentstoffe des Chilis stechen einem ins Auge. Die Schoten werden zum Trocknen auf den Boden gestreut, als hätte eine Riesin ihre Saris auf den Feldern ausgelegt. Oder das Chili erhebt sich in gewaltigen Haufen am Straßenrand, noch nicht pulverisiert, aber schon in der konischen Form, die es bald in allen Basars annehmen wird, von Hyderabad bis Bahrain.
Hyderabad ist nicht nur die Hauptstadt des südlichen Bundesstaates Andhra Pradesh, sondern auch die Kapitale der würzigen Küche. Wer meint, er habe schon scharf gegessen, vielleicht beim Inder um die Ecke oder in einem Lokal in Jaipur oder Agra, der sollte sich an ein Abendessen in Hyderabad heranwagen. Das Restaurant, in dem ich meine Feuertaufe erhielt, war schummrig, die Speisekarte ein kleines Kunstwerk aus Leder und Kalligraphie. Mein Bruder und ich teilten dem Kellner mit, wir seien scharfes Essen gewohnt, aber er besaß die Barmherzigkeit, uns nicht beim Wort zu nehmen und uns jene Gerichte zu empfehlen, die in der Speisekarte ohne ein schmuckes Chilizeichen in der Marginalie auskamen. Wir amüsierten uns ein wenig über den fürsorglichen Kellner, der uns offensichtlich für Grünschnäbel hielt. Das Essen wurde bald aufgetischt. Rein äußerlich sahen die Gerichte harmlos aus, verführerisch sogar. Aber schon der erste Biß führte in den neunten Kreis der kulinarischen Hölle, der Feuerwerfer im Mund trieb mir den Schweiß auf die Stirn, die Augen tränten, und ich sehe es noch vor mir, wie ich aufblickte, zu meinem Bruder hin, der in seinem Leid mein genaues Spiegelbild war, und wie wir beide gemeinsam aussprachen oder eher röchelten: wie schmecken wohl die wirklich scharfen Gerichte?
Merkwürdigerweise ist das Gewürz, das in Deutschland unter dem Namen Curry operiert, in Indien unbekannt. Curry, abgeleitet von dem tamilischen Wort kari, bedeutet eigentlich ›Gericht mit Sauce‹, im Gegensatz zu den trockenen Tandoori-Speisen wie etwa dem Kebab. Irgendwann haben britische Kolonialisten eine Gewürzmischung, eine Masala also, mit nach Hause genommen, die ihre typische Farbtönung aus der stets beigemischten, antiseptisch wirkenden Gelbwurz gewinnt, ansonsten aber eine wechselnde Vielzahl von Ingredienzen enthält, gemeinhin Kreuzkümmel, Koriander, Paprika, Nelken, Zimt, Muskatnuß, Ingwer, Senfkörner,
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