Gebrauchsanweisung fuer Indien
Kuch Huch Hota Hee (frei übersetzt: ›Liebe liegt in der Luft‹) wird in Bollywood das amerikanische College nach Indien verpflanzt und ein verklärtes universitäres Leben zelebriert. In diesem College tragen die Mädchen Miniröcke anstatt Saris, und die Jungs spielen Basketball anstelle von Kricket. Von den Fußböden könnte man essen, und die Kids bedienen sich eines coolen Slangs, der erst erfunden werden mußte. Dieses fiktive College bietet den jugendlichen Zuschauern aus der aufstrebenden städtischen Mittelklasse ein parfümiertes Konzentrat ihrer Sehnsüchte. Die Konsumansprüche haben sich verfeinert. Folgerichtig strahlt die Stadt noch heller als früher: Das städtische Leben ist Inbegriff von Lifestyle. Einziges Verbindungsstück zu der dörflichen Welt von einst ist die Moral der Geschichten. In Kabhi Kushi Kabhie Gham (›Mal glücklich, mal traurig‹) wird die bedingungslose Niederwerfung vor dem Patriarchen zelebriert, obwohl dieser im Unrecht ist und sich bis kurz vor dem Happy End selbstgerecht uneinsichtig gibt. Traditionelle Familienwerte werden hochgehalten, ungeachtet dessen, wie sehr sie der Handlungslogik und dem sozialen Kontext widersprechen. Offensichtlich gelten sie als einziger gemeinsamer Nenner von Stadt und Dorf, Inland und Ausland.
Sanjay Leela Bhansali (Hum Dil De Chuke Sanam, Devdas, Black) ist ein Meister der radikalen Ästhetisierung. Der Regisseur überzeichnet sogar das Elend seiner eigenen Kindheit, um den Götzendienst an der reinen Schönheit autobiographisch zu legitimieren. Ob in einem Palast in Rajasthan, in einer Stadtvilla in Kalkutta oder in einem Chalet im Himalaja, das opulente – und kostspielige – Dekor seiner Produktionen überwältigt das Auge. Sein jüngster Erfolg Black entdeckt einerseits thematisches Neuland (Taubstummheit sowie Alzheimer), wird aber andererseits aufgeblättert wie ein Postkartenalbum. Jede Szene, ja jede Einstellung ist manieristisch hochstilisiert, als handele es sich um einen Schwanengesang an Licht, Farbe und Form. Bhansali hat eigenhändig die Belle Epoque in Bollywood etabliert. Um althergebrachte Moral schert er sich dabei weniger als sein Kollege Johar. In Hum Dil De Chuke Sanam (›Ich habe mein Herz schon vergeben‹) reist ein jungvermähltes Paar nach Italien, um den Mann zu suchen, in den die Frau verliebt ist (es handelt sich, wie man unschwer erkennt, um einen selten verständnisvollen Ehemann).
Ram Gopal Verma ist das enfant terrible des Augenblicks, unter anderem dafür berüchtigt, daß er die Schauspieler schlechter behandelt als Sklaven (und ihnen folgerichtig das Honorar schuldig bleibt). Seine Produktionsfirma ›The Factory‹ hat die einst mächtige Studiotradition zu neuem Leben erweckt. Und als Regisseur dreht er seriöse, überzeugende Filme, ohne die Rahmenbedingungen Bollywoods in Frage zu stellen. Mit Company hat er ein indisches Äquivalent des Mafia-Films gedreht, ein düsteres, schmutziges, erotisches und cooles Porträt der Banden, die die Unterwelt Bombays kontrollieren. Company beginnt mit einer Sequenz körniger, rasant geschnittener Aufnahmen, unterlegt von einer Stimme, die aus dem Off kommentiert: »Whatever you say, everything one does in life is for profit. This business is done for profit, too. Without paying taxes or keeping accounts. Because this business is run on fear. Not paperwork.« Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen legt Verma Wert auf das Drehbuch und auf überzeugende Dialoge. Immer wieder überraschen Sätze wie »No one can make it to the top by the right way«, deftige Sprüche, wie man sie aus den besten amerikanischen Milieufilmen kennt: »If you had the gun in your hand, would you share with me?« Company ist in einem real existierenden Bombay angesiedelt. Die gut gezeichneten Charaktere fahren tatsächlich mit dem Vorortzug, und die Szene ist tatsächlich in einem Zug gedreht. Die Polizei ist brutal und korrupt. Schon sein vorangegangenes Werk Sattya, der wohl erste erfolgreiche Film noir in Bollywood, zeigte die ganze Widersprüchlichkeit Bombays, das Grauen sowie die Hoffnung, die Brutalitäten ebenso wie die Zärtlichkeiten. Doch auch Verma hat nicht sosehr den Realismus nach Bollywood gebracht, sondern der Romantik einen drohenden Ton verliehen.
Keiner dieser Filme versucht zu maskieren, daß es sich um reine Kunstprodukte handelt, die ihre eigene Realität konstruieren. Wie irrelevant die Regeln der Wirklichkeit sind, kann man daran ermessen, daß der Held
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