Gebrauchsanweisung fuer Indien
waren, wurden im Tamasha die weiblichen Rollen von Frauen gespielt. Ursprünglich dienten diese deftigen Musicals als Unterhaltung für die Truppen, anspruchsvollere Varianten jener Playboy-Shows, mit denen die amerikanischen GIs in Vietnam auf den Kampfeinsatz am nächsten Tag eingestimmt wurden. Im Laufe der Zeit verbürgerlichten sich die Spielgruppen – Anfang des 20. Jahrhundert erzielten sie ihre größten kommerziellen Erfolge, bevor sie von den nachahmenden Lichtspielen des Kinos in den Schatten gestellt wurden.
Bollywood war von Anfang an epigonal, es hat sich seit jeher konsequent des enormen Schatzes klassischer indischer Kultur bedient. Es hat Bhajans und Qawwali (hinduistische beziehungsweise moslemische religiöse Gesänge) verpoppt, Volkstänze aufgemotzt, die unzähligen Tempel und Paläste des Landes als märchenhafte Kulisse benutzt. Selbst die Erzählweisen haben sich seit dem ›Natyashastra‹ kaum geändert. Weiterhin grundiert das Unwahrscheinliche jeden Film. Die Drehbuchautoren Bollywoods arbeiten mit dem Zufall so wie Kameramänner mit dem Licht. So ist eine Kunstwelt entstanden, die helle Vergangenheit, heilige Ewigkeit und heile Gegenwart zur allgemeinen Zufriedenheit verknüpft – ein sakrales Kabarett.
Es wäre jedoch ein Fehler zu folgern, das Tamasha Bollywoods kenne keine Grenzen, keine Tabus. Selbst aufwendige, hochstilisierte Produktionen beginnen mit einer Verbeugung vor der Gottheit, einer Statue von Saraswati (Schutzgöttin der Künste) oder Ganesh. Innerhalb der Familien im Film herrscht ewige Liebe und große Herzlichkeit. Und trotz aller feurigen Sinnlichkeit – enge Wickelkleider, die zudem gelegentlich durchnäßt werden –, die Atmosphäre ist von aseptischer Züchtigkeit, und Sex wird nur angedeutet. Die Entblößungen und Mundküsse, mit denen sich die Sexbombe Mallika Sherawat in den letzten Jahren einen Skandalnamen gemacht hat, bestätigen nur die Regel.
Und doch produziert Bollywood nicht nur alte Hüte. Die technische Ausstattung hat in den letzten Jahren zum westlichen Niveau aufgeschlossen, aufwendige Spezialeffekte sind mittlerweile selbstverständlich, und vor kurzem kam sogar der erste Science-Fiction-Film Bollywoods heraus, Kol Mi Gaya. (Ich war eingeladen, einen NASA-Wissenschaftler zu spielen, mußte aber wegen meiner bevorstehenden Hadsch absagen.) Die größte Veränderung ist jedoch hinsichtlich der Wahl der Schauplätze erfolgt. Die aktuellen Schmachtschinken erweisen der Globalisierung Referenz. Wurden früher höchstens einige Tanzsequenzen an exotischen Orten außerhalb Indiens gedreht, werden ferne Schauplätze neuerdings in die Handlung eingebaut, so etwa Kapstadt in Dil Ka Rishta. Gelegentlich hapert es allerdings noch an geographischen Kenntnissen – in Hum Dil De Chuke Sanam wurde Budapest in Italien angesiedelt, sehr zum Leidwesen der ungarischen Tourismus-Funktionäre, die auf einen Besucherboom aus Indien gehofft hatten. Der Trendsetter in dieser Hinsicht war Kaho Na Pyaar Hee (Regie: Rakesh Roshan, Musik: Rajesh Roshan, Hauptdarsteller: Hrithek Roshan – es bleibt in der Familie), der unter Jugendlichen gerade wegen der unverbrauchten Originalschauplätze zu einem enormen Erfolg wurde: Thailand und Neuseeland. Nach einem kurzen Vorspiel in Indien tuckert das junge Pärchen, das noch nicht zueinander gefunden hat, auf einem Kreuzfahrtschiff zwischen idyllischen thailändischen Inseln herum. Held und Heldin verstecken sich bei einer Party angetrunken in einem der Rettungsboote. Als sie aufwachen, befinden sie sich auf hoher See, allein in ihrem kleinen Boot. Wenig später werden sie an den Strand von Krabi angeschwemmt und nach einem Tag der streitvollen Annäherung von dem Vater der jungen Frau per Schnellboot gerettet – natürlich haben sie weder Durst empfunden noch einen Sonnenbrand erlitten. Die Geschichte ist reine Kulisse, denn die wunderschöne tropische Kulisse steht im Mittelpunkt.
Die Torte, die dieser Jahre in Bollywood gebacken wird, kennt drei Patissiers: Karan Johar (der Mann für den Teig), Sanjay Leela Bhansali (Schaumschläger) und Ram Gopal Verma (Rosinenlieferant). Karan Johar, der Regisseur mit dem kindlichen Gesicht und den weiblichen Gesten, hat das unmögliche Kunststück vollbracht, das Melodram noch weiter zu sentimentalisieren. In seinen drei Megahits (Kuch Huch Hota Hee, Kabhi Kushi Kabhie Gham und Kal Ho Naa Ho) verknüpft er reaktionäre Inhalte mit schickem Ambiente und internationalem Lifestyle. Seit
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