Gebrauchsanweisung fuer Indien
des Schicksals« oder von »poetischer Gerechtigkeit«. Denn es war keine zwanzig Jahre her, da war Phulan Devi, apostrophiert als »Bandit Queen«, die meistgesuchte Gesetzlose des Landes, und es war keine zehn Jahre her, da saß sie im Gefängnis von Gwalior, als Häftling ohne Prozeß und Zukunft. Und keiner in Indien hat vergessen, wie gewaltsam Phulan Devi das erste Mal in die Öffentlichkeit trat.
Geboren am Tag des Blumenfestes – ihr Name bedeutet ›Göttin der Blumen‹ –, war Phulan Devis Leben von früh auf bar jeder Zärtlichkeit und Schönheit. Als Kind von Eltern aus der Kaste der Mallahs (Bootsleute) gehörte sie zu den Unberührbaren, die sich selbst lieber Dalits nennen, »gebrochene Menschen«. Trotz der egalitären indischen Verfassung erleiden diese Menschen, auf dem ganzen Subkontinent auf etwa hundertsechzig Millionen geschätzt, weiterhin tägliche Unterdrückung, Erniedrigung und Ausbeutung. Gerade in den nordindischen Provinzen des ›cow belt‹ (wortwörtlich: Kuhstreifen) verharren sie in jahrhundertealten Abhängigkeiten von den Höherkastigen, in dieser Region ›Thakurs‹ genannt. Zudem war Phulan Devi als Mädchen in dieser Gesellschaft doppelt gestraft: wegen der obligatorischen Mitgift eine Last für die eigene Familie, stand ihr ein Leben als Gebärerin und Arbeitstier bevor. Doch es sollte sie noch schlimmer treffen. Als sie zehn Jahre alt war, verschacherte sie ihr Vater an einen vierzigjährigen Witwer gegen ein Stück Land und eine Kuh, und schon bald darauf wurde sie von ihrem Mann mißhandelt und vergewaltigt. Später verstieß er sie, und sie kehrte zu ihren Eltern zurück, in einem abgelegenen Dorf wie dem ihren nicht nur eine Schande, sondern auch eine Stigmatisierung, die dazu führte, daß Phulan Devi von nun an Freiwild war für die Gelüste höherkastiger Männer und korrupter Polizisten. Es folgte eine Zeit weiterer Vergewaltigungen. Anstatt aber stillschweigend zu leiden oder sich gar – wie viele andere Frauen – umzubringen, rebellierte diese ungewöhnliche Frau. »Ich schwor zur Göttin Durga«, schrieb sie in ihrer Autobiographie, »daß er (der Ehemann) für den Schmerz, den er mir zugefügt hatte, zahlen würde. Ich schwor, daß ich nicht ein Leben lang hinter verschlossenen Türen im Dunkeln kauern oder auf dem Bauch liegend vor diesem Mann kriechen würde … also nahm ich mir vor zu überleben, um eines Tages Rache zu üben.«
Sie schloß sich einer Gruppe sogenannter ›dacoits‹ an, ein aus dem Hindi stammendes Wort (dakait), das in die englische Sprache eingegangen ist und seit der Kolonialzeit jene Banditen bezeichnet, die in den abgelegeneren Teilen Indiens zahlreich anzutreffen sind. Sie hauste in den wilden Tälern des Chambal-Flusses und führte bald eine eigene Gruppe zu Raubzügen gegen wohlhabende Höfe. Der Tag der Rache sollte bei einem der Überfälle kommen. Als die noch minderjährige Phulan Devi in einem Dorf einige ihrer Vergewaltiger wiedererkannte, ließ sie zweiundzwanzig Männer aus der Thakur-Kaste niederschießen.
Von nun an war sie eine Berühmtheit, eine bald mythische Kultfigur, um die sich die wildesten Legenden rankten. Die Regierung und die Polizei unternahmen enorme Anstrengungen, sie zu fangen. Nach vielen vergeblichen Versuchen gab die Premierministerin Indira Gandhi die Devise aus, wenn nicht anders möglich einen Handel mit der Banditin einzugehen. Phulan Devi ergab sich schließlich 1983, vor einem Porträt von Mahatma Gandhi und einem Bild der Göttin Durga (der weiblichen Verkörperung von Macht und Gewalt), nachdem sie eine Vereinbarung ausgehandelt hatte, die sie vor der Todesstrafe bewahrte und ihre Familie sozial absicherte.
Entgegen der Vereinbarung wurde sie jedoch nicht vor einem ordentlichen Gericht angeklagt, sondern verbrachte elf Jahre auf Weisung der Regierung im Gefängnis, wo der letzte Akt ihrer Mißhandlung geschah: Als sie eines Tages wegen Unterleibsblutungen ins Hospital eingeliefert wurde, entfernte der Gefängnisarzt ohne ihr Einverständnis die Gebärmutter. Auf die Frage ihrer Biographin Mala Sen nach dem Grund hat der Arzt bösartig gelacht: »Wir wollen doch nicht, daß sie weitere Phulan Devis gebärt.«
1994 wurde Phulan Devi freigelassen, weil sie, so munkelt man, mit dem damaligen Ministerpräsidenten des Bundesstaates Uttar Pradesh, Mulayam Singh Yadav, einen faustischen Handel eingegangen war. Kurz darauf stieg sie in die Politik ein und sorgte dafür, daß die Samajwadi-Partei
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