Gebrauchsanweisung fuer Indien
dieses Politikers die Stimmen vieler Dalits erhielt. Sie zog als Parlamentarierin nach Neu-Delhi. Doch die politische Bilanz von Phulan Devi fiel erstaunlich mager aus. Zwar sprach sie im Parlament mehrfach eindringlich von dem Leid der einfachen Menschen, aber ihr Wirken blieb ohne sichtbare Resultate. Die Journalistin Kalpana Sharma erzählte mir einmal, wie die völlig überforderte Phulan Devi bei einer Konferenz durch die Hallen herumgeirrt sei und, wenn angesprochen, nichts zu sagen hatte. Sie war eher eine Ikone denn eine Macherin.
Ihre Ikonisierung erreichte den Höhepunkt mit dem Film ›Bandit Queen‹ von Shakar Kapur, dem nach dem internationalen Erfolg dieses Streifens eine internationale Karriere glückte. Der Film war in Indien sehr umstritten, nicht nur wegen der Vergewaltigungsszenen, sondern auch weil sich einige führende Intellektuelle wie etwa Arundhati Roy gegen die Verfälschung und Ausbeutung von Phulan Devis Leben zur Wehr setzten. Bevor der Konflikt gerichtlich entschieden wurde, einigte sich Phulan Devi mit der Produktionsfirma auf eine Entschädigung von angeblich vierzigtausend britischen Pfund.
So bleibt das Tragische an Phulan Devis Leben, daß auch sie, die als Rebellin den Weg des radikalsten Widerstandes gegangen ist, letztendlich von dem ihr verhaßten System vereinnahmt wurde. Als Frau in einer unglücklichen Ehe gefangen, als Politikerin in undurchschaubare Abmachungen verstrickt, als Privatperson in diverse, wenig schmeichelhafte Geschäfte verwickelt und als Legende von allen möglichen öffentlichen Parasiten ausgenutzt, war sie sowenig Herrin ihres eigenen Lebens wie in ihrer Jugend, als sie mißhandelt wurde. In Freiheit lebte sie nur während der vier Jahre als Gesetzlose.
7. Artha
Artha (Sanskrit, »das, wonach jeder strebt«): 1. Eine Bedeutung von Artha ist ›Bedeutung‹. 2. Der Drang nach Wohlstand, eines der vier traditionellen Ziele des Lebens. Dem Diesseitigen völlig zugetan, reiner Materialismus, verdiene Geld, und lasse es dir gutgehen, in der zweiten von vier Lebensphasen, jener des Haushaltens. 3. Die Wissenschaft der Staatsgeschäfte, der Erhalt der sozialen Ordnung.
Die Globalisierung hat Mythen durch Zahlen ersetzt.
»Ich habe auf dem Flug nachgedacht«, sagt der chinesische Geschäftsmann, Mr. Lee, gleich nach seiner Ankunft in Lucknow. »Über Ihr Land, ich glaube, eine Milliarde Einwohner, oder, Mr. Sutwala?«
Der Firmeninhaber aus Hongkong dehnt die Vokale so sehr, daß es seinem indischen Partner weh tut.
»Und so viel Industrie, so viele Städte. Wir haben eine lichte Zukunft vor uns, Mr. Sutwala. Stellen Sie sich vor, wenn eine Firma wie unsere nur jeden tausendsten Inder erreichen könnte, bescheidene 0,1 Prozent, dann hat sie zehn Millionen neue Kunden gewonnen. Was für ein Markt, was für eine Zukunft!«
Gopal Sutwala schweigt und grinst in sich hinein. Er wird die Umstände für sich sprechen lassen.
»Wie weit ist es denn nach Kanpur?« fragt Mr. Lee.
»So etwa achtzig Kilometer«, antwortet Gopal Sutwala.
»Na, dann sind wir ja gleich da.«
Sein Besuch starrt lange zum Fenster hinaus, auf die flache nordindische Landschaft, verhangen von dem staubigen Dunst der Jahreszeit, bevor er wieder eine Frage stellt.
»Von woher werden eigentlich all diese LKWs importiert?«
»Sie werden in Indien hergestellt.«
»Und die Autos?«
»Auch in Indien.«
»Und die Motorräder?«
»In Indien.«
»Und die Fahrräder?«
»Indien.«
Nach zweistündiger Fahrtzeit ist Kanpur zwar immer noch nicht in Sicht, dafür hat Mr. Lee eine Reihe von Schlaglöchern erleiden müssen und aus dem klimatisierten Inneren des Wagens heraus jede Menge Hindernisse erblickt, Zeichen permanenter Unfertigkeit. Er versinkt in Grübelei, aus der ihn erst die Ankunft vor einem schicken neuen Hotel in Kanpur herausreißt. Bevor er aussteigt, wendet sich Mr. Lee an seinen indischen Geschäftspartner.
»Wenn ihr alles selbst produzieren könnt, wieso seid ihr immer noch so arm?«
Wohlstand ist wichtig. Nicht nur im Leben. Auch in der Mythologie, in der Philosophie, in den Ritualen und Bräuchen. Das bedeutendste altindische Epos, die Mahabharata (›Das große indische Buch‹), verankert Reichtum inmitten der menschlichen Existenz, und zu Diwali, dem hinduistischen Jahreswechsel, werden die Bilanzbücher der Firmen mit einem eigenen Ritus gesegnet.
Die spirituelle Legitimierung von Wohlstand wird damit begründet, daß es nur sehr wenigen
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