Gebrauchsanweisung fuer Indien
beim Billardspielen mal eine halbe, mal eine volle Kugel einlocht. Oder daß die Heldinnen mitten am Tag eine Disco aufsuchen. Dies zu bekritteln wäre genauso unsinnig, wie bei einer Oper zu bemängeln, daß Sterbende nicht lauthals singen. Die wenigen Filme, die sich um Logik und Stimmigkeit bemühen, fallen dagegen ab, weil sie die fröhliche Ausgelassenheit des Tamasha, des weltvergessenen Spiels mit Farben und Formen, vermissen lassen. Aufgrund der einfachen Struktur und des Mangels an befremdlichen Realitäten läßt sich Bollywood hervorragend in die ganze Welt exportieren, in andere asiatische Länder, nach Afrika und neuerdings auch in die Länder der westlichen Skepsis. Diese Melodramen sind hemmungslos sentimental und theatralisch, sie bedienen die Vergnügungssucht des Publikums, ohne sich dafür zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Und darin sind sie den selbstreflektierten Werken aus anderen Kulturkreisen überlegen.
Doch die wachsende Mittelklasse des Landes läßt sich von diesem Perpetuum mobile der Unterhaltung nicht mehr so leicht zufriedenstellen. Die vielen privaten Fernsehgesellschaften, die in den letzten Jahren auf Sendung gegangen sind, verbreiten nicht nur die amerikanische Konsumwelt in alle Ecken und Enden des Landes, sondern führen auch alternative Erzählformen ein. Der indische Zuschauer kann die eigenen Krimis mit ihren schmuddeligen Kulissen, den schmierigen Polizisten, schießwütigen Räubern und erniedrigten Frauen mit den schicken Thrillern aus Hollywood vergleichen. Die heimische Produktion zieht dabei oft den kürzeren. Auch sind die kulturellen Erfahrungen dieser Mittelschicht angesichts der Öffnung der Wirtschaft und der wachsenden Mobilität innerhalb der Gesellschaft vielfältiger geworden. Die Selbstbezogenheit der sozialistischen Ära von Nehru und Indira Gandhi ist einem Hunger nach Neuem gewichen. Hollywood-Streifen laufen inzwischen nicht nur in den größten Kinosälen Bombays, sie werden gelegentlich sogar synchronisiert – ein Novum. Die großen multinationalen Vertriebsgesellschaften investieren beachtliche Budgets in das Marketing von Blockbustern.
Bollywood hat auf diese Bedrohung mit Nachahmung reagiert. Mohabattein orientierte sich an Dead Poets Society, (›Der Club der toten Dichter‹). Pretty Woman hat eine unwürdige Kopie in Chori Chori, Chupke Chupke gefunden, und Step Mom wurde zu einem Karamel namens Dil Kya Kare zusammengekocht. Zudem werden ungeniert Actionszenen aus Filmen wie Indiana Jones oder Lethal Weapon nachgestellt. Kein Zufall, daß der mit Abstand populärste Film der letzten Jahre, Lagaan, eine originelle, typisch indische Geschichte erzählt, von einer Dorfmannschaft, die sich im Kricket mit den allmächtigen britischen Kolonialherren mißt. Ein etwa einstündiges Kricketmatch als Höhepunkt von Lagaan dürfte jedoch die Chancen dieses Films auf den Oscar für den besten fremdsprachigen Film bei den Academy-Mitgliedern in Los Angeles erheblich geschmälert haben.
Trotzdem: Indien bleibt das mit Abstand größte Filmland der Welt. 2005 wurden sage und schreibe eintausendeinundvierzig Filme gedreht. Die Filmindustrie in Hyderabad, die in der Telugu-Sprache dreht – einer Sprache, die von knapp hundert Millionen Menschen verstanden wird – und daher neuerdings Tollywood genannt wird, hat im Jahre 2005 zweihundertachtundsechzig Filme produziert (im Vergleich zu zweihundertfünfundvierzig in Hindi). An dritter Stelle rangiert die Produktion in Tamil mit immerhin hundertsechsunddreißig Filmen. Und selbst in der vergleichsweise kleinen Sprache Bhojpuri wurden vierzig Filme gedreht.
Unzählige Todesdrohungen hatte sie erhalten, viele Male war sie in Lebensgefahr gewesen, doch das brutale Ende ereilte Phulan Devi, als sie eigentlich hätte geschützt sein sollen. Die Abgeordnete, aus dem Parlament zur Mittagspause heimgekehrt, wurde am Gartentor ihres Hauses von zwei maskierten Attentätern aus nächster Nähe erschossen. Ein einsamer Polizist auf Wache, selber schwer verletzt, konnte nur die Rückscheibe des davonbrausenden Fluchtwagens treffen. Der Mord geschah nicht nur am hellichten Tage, sondern auch mitten im Machtzentrum der Hauptstadt Neu-Delhi, zweihundert Meter von der nächsten Polizeistation und gerade einmal einen Kilometer von der Volksversammlung entfernt. Am Tag nach dem Mord, als die Leiche von Phulan Devi nach Mirzapur transportiert wurde, um am Ufer des Ganges kremiert zu werden, sprachen die Zeitungen von »Ironie
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