Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gebrauchsanweisung fuer Indien

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
Vom Netzwerk:
ermöglichte. 1973 wurde der erste Fernseher gekauft, 1998 der erste Computer. Heute geht sie souverän mit Mikrowelle und Video um. Und sie setzt sich gerne dazu, wenn die Urenkel von brandneuen Geräten schwärmen. Alle ihre sieben Kinder haben studiert. Einer der Söhne war hochrangiger Polizeioffizier, die anderen arbeiteten als Ärzte, Lehrer, Ingenieure und forensische Experten. Sie regiert weiterhin über die riesige Gemeinschaftsküche, in der sich die Bewohner von zwei Stockwerken und dreißig Zimmern versammeln.

    »Der Palast wirkt selbst am hellen Tag noch wie ein Palast, der in unruhigen Träumen erbaut wurde – ein Werk von Kobolden und nicht von Menschen«, schrieb einst Rudyard Kipling über jene Tempel, Paläste und Burgen Nordindiens, die nicht nur wegen ihrer oft übermenschlichen Dimensionen und ihrer bizarren Formen märchenhaft wirken, sondern auch wegen der Emotionen und Ambitionen, denen sie sich verdanken. Das Taj Mahal etwa, berühmtestes Bauwerk Indiens, entstand aus dem Begehren des untröstlichen Königs Shah Jahan heraus, seiner verstorbenen Gattin Mumtaz ein unsterbliches Denkmal zu setzen. Der Marmor selbst sollte singen: »Ich habe nicht vergessen, ich habe nicht vergessen, meine Geliebte!« In zweiundzwanzig Jahren gelang es zwanzigtausend Arbeitern, »eine Träne auf das Gesicht der Ewigkeit« (Tagore) zu zaubern – und wohl auch Tränen in die Augen der kaiserlichen Buchhalter und Schatzmeister zu treiben, denn der Bau brachte das Reich der Moguln an den Rand des Bankrotts.
    Die postmodern anmutende Anlage ›Jantar Mantar‹ des Maharaja Sawai Jai Singh II. in Jaipur hingegen ist versteinerter Ausdruck des monumentalen Ehrgeizes, die Sonnenzeit genauer zu messen als je zuvor. Und der Lake Palace inmitten von Udaipur treibt zwar auf dem Wasser eines künstlichen Sees wie eine Mirage, doch historisch gründet es auf der unermeßlichen Vergnügungssucht eines Prinzen. Der Maharaja war es leid, dem Sohn seine Wasserpaläste zur Verfügung zu stellen – er wies den Prinzen an, sich sein eigenes Lustschloß zu bauen. Die Folge dieser väterlichen Zurechtweisung ist eines der schönsten romantischen Gebäude der Welt. Wie eine einzige Märchenkulisse wirkt Jaisalmer, ein indisches Quedlinburg oder Rothenburg ob der Tauber. Mittelalter, erstarrt in bröckeligem Stein. Vergangener Reichtum, in goldene Fassaden ziseliert. Jaisalmer lag auf einer West-Ost-Karawanenroute, die an Bedeutung in Asien nur der Seidenstraße nachstand, und die örtlichen Fürsten verstanden es, sich am durchziehenden Reichtum zu bedienen. Jaisalmer blühte auf, die großen Handelshäuser bauten sich Residenzen von unbescheidener Pracht, die sehenswerten Stadthäuser namens ›Havelis‹. Heute ist die Festung noch bewohnt, von etwa zweitausend Rajasthani, überwiegend Handwerker. Nur ein kleiner Teil des Forts wird von dem Palast eingenommen. Von seinen Terrassen aus kann man sehen, wie das Märchen in allen Richtungen in der Wüste versiegt.

    Die bürgerliche Elite Indiens, kosmopolitisch und weltgewandt, findet ihren reinsten Ausdruck in der kleinen, aber erstaunlich mächtigen und wohlhabenden Minderheit der Parsen, Nachfahren von zoroastrischen Flüchtlingen, die vor etwa zehn Jahrhunderten von Persien nach Indien einwanderten. Die Parsen wurden, kaum hatten sich die Briten festgesetzt, zu ihren Zöglingen, der europäischen Kultur und den merkantilen Möglichkeiten der Ära zugetan. Keine andere Gruppe hat die Chancen, die in den Geschäften der neuen Zeit lauerten, im Überseehandel, in der Baumwollweberei und im Opiumschmuggel, so konsequent erkannt und ergriffen. Die Parsen hatten von Anfang an eine dominierende Präsenz bei der extrem lukrativen Ausfuhr des Opiums nach China. Firmen mit vielversprechenden Namen wie ›Readymoney‹ tauchen in den Archiven immer wieder auf. Opium war eine existentiell wichtige Einnahmequelle für die Bombay-Regierung. Allein im Haushaltsjahr 1848-49 wurden neun Millionen Rupien an Zöllen eingenommen, und in den 1860ern umfaßte dieser Anteil gar ein Sechstel der Gesamteinnahmen der Regierung. Da der Export nach China illegal war, wollte die über Indien regierende Britisch-Ostindische Gesellschaft sich nicht direkt einmischen und überließ das Feld einheimischen Geschäftsleuten. Die Rolle der Parsen als Zwischenhändler wurde somit gestärkt, und diese investierten ihren neuerschlichenen Reichtum in gewaltige Ländereien in Bombay und dem Hinterland. Oft erhielten

Weitere Kostenlose Bücher