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Gebrauchsanweisung fuer Indien

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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sie günstige Darlehen (›imam‹), weil den Briten daran gelegen war, einen Gürtel treuer Vasallen um Bombay herum mit treuen Vasallen zu installieren.

    Als nach der wirtschaftlichen Öffnung von 1992 die indische Mittelklasse international entdeckt und oft auch überschätzt wurde, weil viele Beobachter wie Mr. Lee aus Hongkong die großen Zahlen sahen und nicht die kulturellen Interferenzen hinter diesen, drängten fast alle internationalen Konzerne auf den neuen Markt. Meistens gründeten sie Niederlassungen, die ihre Produkte, trotz der gesenkten Zölle, weiterhin hochpreisig verkauften. Nur wenige Firmen investierten in eine lokale Herstellung oder entwickelten gar Produkte eigens für den indischen Markt. Deswegen hinken die ausländischen Anbieter etwa bei elektronischen Haushaltsgeräten noch ziemlich hinterher. Ob Godrej, BPL, Videocon oder ONIDA, bei Waschmaschinen, Fernsehern und Kühlschränken nehmen ausschließlich indische Firmen die ersten Plätze in der Verkaufsstatistik ein.
    Der Grund ist ziemlich einfach, wie mir Vipul Rawal, Geschäftsführer von BSH Home Appliances, einmal erklärte: Nur Käufer aus der Oberschicht erkennen und schätzen Qualität. Nur wenige Käufer achten auf die Marke (schließlich kann man mit seiner Waschmaschine nicht so gut angeben). Für die Mittelklasse ist allein der Preis entscheidend. Da die Kunden davon ausgehen, daß die bekannten Marken alle mehr oder weniger die gleiche Technik anbieten, entscheiden sie sich für das billigste Produkt. So dominiert etwa Godrej als eingeführte heimische Marke den Kühlschrankmarkt, weil sie Geräte schon für hundertfünfzig Euro anbieten. Zudem übersetzt sich bessere Qualität manchmal in praktische Nachteile. Die schweren, vollautomatischen Waschmaschinen lassen sich nicht auf Räder setzen, was ihren Nutzen erheblich einschränkt, denn in vielen Haushalten muß die Maschine für jeden Wascheinsatz aus ihrer Abstellecke an den einzigen Wasseranschluß geschoben werden.
    Um die Kunden zu erreichen, muß man zuerst die Händler überzeugen, die in Indien über ihre eigene Vorauswahl hinaus einen großen Einfluß auf die Kaufentscheidung haben. Denn die meisten Käufer sind unsicher und ungebildet und mangels fehlender Erfahrung wenig kompetent. So wirbt eine Organisation namens ›The Wash Counsellors‹ in der größten Tageszeitung für ihre Broschüre »Wie kauft man die richtige Waschmaschine?«. Die Botschaft lautet: Wieso den Preis des Nicht-Wissens zahlen?
    Die Käuferkompetenz wird weiter wachsen, was wohl weniger an der rührigen Broschüre liegt als an den neuen Verkaufsorten. Früher liebten es die Menschen, durch die Bazare Crawford Market und Hindmata Cloth Market zu schlendern, lautstark zu verhandeln, nach Schnäppchen zu suchen. Neuerdings setzen sich auch in Bombay die schicken Einzelläden und vor allem das Urbild des amerikanischen Konsums, die Shopping Mall, durch. Die größere Auswahl, die bessere Vorführung, der gesicherte Service korrespondieren mit dem gesteigerten Bewußtsein und Wissen der Konsumenten.
    Einige meiner Freunde überkommen fast nostalgische Erinnerungen, wenn sie an die Familienausflüge von einst zum Gemeindemarkt denken, zu denen man sich schick herausputzte und über Neuigkeiten wie etwa das Radiomodell ›Murphys Baby‹ staunte. Man tauschte Freundlichkeiten mit anderen Familien aus und sammelte die neuesten Gerüchte ein. Heute, im Zeitalter der schleudernden Waschmaschinen und der blinkenden Apparate, bleibt für all das keine Zeit mehr. Einkaufen ist zu einem rationalen und funktionalen Akt geworden. In dieser Hinsicht hat sich die indische Mittelklasse den Bessergestellten auf der ganzen Welt angenähert.

    Natu und Kukila Patel sind sich, auch angesichts ihres neuen Wohlstandes, über ihre Prioritäten sehr einig: »Das Wichtigste ist eine hervorragende Ausbildung für unsere Kinder. Wir besitzen kein Auto, sind noch nie ins Ausland gereist, haben eine alte Waschmaschine und einen noch älteren Kühlschrank, aber an der Ausbildung unserer Kinder wollen wir nicht sparen.« Dieser Anspruch hat dazu geführt, daß die 14jährige Tochter Gita eine der angesehenen katholischen Klosterschulen besucht. Solche Eliteschulen kosten gut fünfzig Euro im Monat. Doch da die Hürden zur Aufnahme selbst in eine hiesige Universität von Jahr zu Jahr höher gelegt werden, reicht ein Abschluß allein nicht mehr aus. Wer heute Abschlußnoten von weniger als neunzig Prozent erzielt, hat kaum

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