Gebrauchsanweisung fuer Indien
viele Präservative sie gerade unter der moslemischen Bevölkerung verteilt haben, der man in Indien gerne eine übermäßige Gebärfreudigkeit vorwirft. Das moslemische Viertel Madanpura weist eine Unzahl von kleinen Werkstätten auf, in denen klaustrophobische Arbeitsbedingungen herrschen – die Räume passen gerade so um die Webstühle. Benutzt wird ein Lochkartenverfahren wie bei einer Handorgel. Das Design ist eingestanzt, oft wird es von dem Weber selbst entwickelt, in Anlehnung an bereits existierende Muster. Da die vielen Weber Varanasis inzwischen eine halbe Million Kondome pro Tag verbrauchen – fünfzehn Kondome werden für die Herstellung eines seidenen Hochzeitssaris benötigt – und das Amt für Familienplanung jedem Erwachsenen nur sechs Kondome pro Monat zuteilt, was auf eine asketische Lebenshaltung der Beamten deutet, müssen sich die Weber auf dem freien Markt mit den billigsten Kondomen eindecken, auch wenn diese leider nicht die Gleitkraft der höherwertigen Staatskondome haben. Aber ein Weber muß an allen Spulen und Zwirnen sparen. Ein Sari, der eine Woche Arbeit benötigt, bringt etwa zweitausend Rupien ein. Nach Abzug der Kosten bleiben dem Weber gerade einmal fünfhundert Rupien. Die Beamten sollten die monatliche Kondomration erhöhen.
Indien ist der weltweit größte Goldkonsument. Nicht weil der Goldbestand der Zentralbank ungewöhnlich hoch ausfällt, sondern weil in den Familien, vor allem unter den Frauen, Gold in Form von Schmuck die eiserne Reserve bildet. Der nationale Besitz wird auf beachtliche zehntausend Tonnen geschätzt. Seit jeher gilt Gold als beste Sicherheit, unabhängig von den Launen der Papierwährungen und, im Gegensatz zu Bodenbesitz, schnell und problemlos einzulösen. Pro Jahr investieren die Inder doppelt soviel in Gold (zehn Milliarden) wie ausländische Investoren in Indien. Selbst der Einbruch des Goldpreises auf den internationalen Märkten Ende der neunziger Jahre hat zu keinem Umdenken geführt; im Gegenteil, die indischen Käufer bremsten den freien Fall ab. Weder die öffentlichen Warnungen von Ökonomen noch die Anlagetips der Banken zeitigten Wirkung. Die Inder blieben bleiben heiß auf Gold. Vor allem während der Heiratssaison im Frühjahr steigt der Goldbedarf drastisch an, denn die Mitgift will veredelt sein. Eine Hochzeit ohne Goldschmuck ist unvorstellbar, auch wenn zusätzlich ein kleiner Maruti oder Indicar in die Mitgift gefahren wird. Nun, da der internationale Preis wieder anhebt, gibt es noch weniger Grund, dem Gold untreu zu werden.
Die Haupthalle des Bahnhofs Bombay Central ähnelt anderen Bahnhofshallen auf der ganzen Welt. Die hohe Decke, die vielen kleinen Geschäfte und Imbißbuden, der Schalter für die Gepäckaufbewahrung, die Tafeln mit den Fahrplänen. Nur am Boden unterscheidet sich dieser Bahnhof von anderen: Zu Stoßzeiten ist jeder Quadratmeter mit hockenden, sitzenden und ausgestreckten Menschen bedeckt, Passagiere, die sich ausruhen oder auf einem Stück Stoff ihr Mittagessen ausbreiten, Obdachlose, die schlafen, und Straßenkinder, die auf Gelegenheiten lauern. Wenn ein Zug angekündigt wird, springen die Jungs hoch, um ihre Dienste den Passagieren anzubieten. Sitzplätze für Passagiere ohne Reservierung zu besetzen gehört zu den lukrativen Jobs. Die Jungen besteigen die abgestellten Züge, bedecken Sitze mit Zeitungen und warten, bis der Zug in den Bahnhof einfährt. Fahrkarten besorgen ist ebenfalls lohnenswert. Die Kinder sind Nutznießer des immensen bürokratischen Aufwands, den ein Ticketkauf erfordert. Wenn jemand keine Lust hat, stundenlang anzustehen, beauftragt er sie, sich für ihn einzureihen. Ähnlich aufwendig ist das Sammeln von leeren Mineralwasserflaschen, die ausgebeult und geschrubbt werden, bevor man sie mit Wasser vom Hahn füllt und für zwei oder drei Rupien an Reisende verkauft.
Nur fünf Gehminuten von Bombay Central entfernt stehen Leute Schlange vor dem neuen McDonald’s in einem vor kurzem eröffneten glitzernden Einkaufsparadies. Die Frauen haben ihre besten Saris angezogen, die Kinder sind wie in einer Waschmittelwerbunrg herausgeputzt, die Männer stehen aufrecht, stolz darauf, der eigenen Familie das Vergnügen bieten zu können, das von der Presse seit Tagen angekündigt wird. Zügig bestellen die Familien bei den dynamisch lächelnden, schick uniformierten Mitarbeitern von McDonald’s Maharaja Burger, McAloo Tikki, Veg McCurry oder eine der anderen vegetarischen
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