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Gebrauchsanweisung fuer Indien

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Franzosen hatten nicht mit offenen Karten gespielt – sie hatten die Kleinigkeit von fünfundvierzig Tonnen Asbest verschwiegen. Der Ball sprang auf dem unebenen indischen Terrain auf und hätte wohl alle überlistet, wäre er nicht den Aktivisten von Greenpeace in die aufmerksamen Hände geflogen. Da half es nicht mehr viel, daß der französische Botschafter bei seinem nächsten Wurf einen weiteren Offspinner von sich gab, indem er von den Vorteilen des technologischen Transfers sprach. Ein französisches Gericht forderte Auskunft über das Ausmaß der Asbestverseuchung, der französische Präsident beorderte den Flugzeugträger, der irgendwo im Indischen Ozean faul herumlag, zurück nach Hause. Der Googly, ein Täuschungsmanöver in diesem Geduldsspiel, war mißlungen.

    Kricket, hat irgend jemand irgendwann irgendwo gesagt, ist ein indisches Spiel, das zufällig von den Engländern entdeckt wurde.
    Es wäre übertrieben, Kricket als eine dynamische, körperbetonte Sportart zu bezeichnen, und es wäre gewiß verwegen zu behaupten, daß die Inder besonders sportlich veranlagt seien. Ich möchte ein kurzes Buch lesen, fragt gemäß eines berühmten Witzes ein Kunde seinen Buchhändler, worauf dieser ihm eine Broschüre mit dem Titel ›Indische Sporthelden‹ reicht. Bei Olympischen Spielen fahren indische Sportler das mit Abstand schlechteste Resultat gemessen an der Bevölkerungszahl ein. Im Medaillenspiegel liegen sie knapp hinter den Bermudas und Katar. Zuletzt gab es zwei Medaillen zu bejubeln, eine im Schießen und eine im Gewichtheben. Das letzte Edelmetall in einer Bewegungsdisziplin erspielte sich 1996 ein Tennisprofi namens Leander Paes im Einzel. Einst war die Nationalmannschaft im Hockey unschlagbar, Sikhs mit hochgestecktem Haar dribbelten ihre Gegner schwindlig, doch dann wurde der Kunstrasen erfunden, moderne Trainingsmethoden und Teamdisziplin setzten sich auf Kosten der individuellen Virtuosität durch, und Indien versank daraufhin in der Zweitklassigkeit. Nur im Kricket ist die Nationalmannschaft Weltklasse – bei der letzten Weltmeisterschaft unterlag sie erst im Finale den übermächtigen Australiern.
    Kein Wunder also, daß Kricket Indiens Nationalsport ist. Keine andere Sportart auf der Welt verzeichnet in einem Land so viele Anhänger, obwohl Kricket lange Zeit ein Zöglingssport der Kolonialherren war. In den Jahren zwischen den Weltkriegen nahmen sich zuerst die einheimischen Prinzen dieses Gentleman-Spiels an. Besonderen Gefallen fanden die adligen Spieler daran, den Schläger zu schwingen. Alle anderen Tätigkeiten auf dem Feld überließen die Maharajas ihren Dienern. Schließlich war es eines Herrschers unwürdig, einem Ball hinterherzulaufen.
    Im unabhängigen Indien traten dann die großen Firmen die Nachfolge der Prinzen an und leisteten sich eigene Teams. Kricket wurde zunehmend als Möglichkeit des sozialen Aufstiegs und Prestigegewinns angesehen. Gleichzeitig erhielt die wachsende Mittelklasse vermehrt Zugang zu Schulen, wo Kricket geübt und begabte Spieler entdeckt werden konnten. Bis zum heutigen Tag entstammen die Nationalspieler fast ausschließlich der Ober- und Mittelschicht.

    John Wright, ein bedächtiger und bescheidener Neuseeländer, war überwältigt, als er seinen Job als Trainer der indischen Nationalmannschaft antrat. In seinem eigenen Land gelten selbst die Heroen des Krickets wenig, niemand sprach ihn beim Einkaufen oder Spazierengehen an, in Indien hingegen beschäftigte sich das ganze Land mit seinen Entscheidungen, bald war er fast so bekannt wie die Schauspieler aus Bollywood – die Leidenschaften kochten vor, während und nach jedem Spiel hoch. »Wir wurden entweder vergöttert oder verteufelt, dazwischen gab es nichts.« Als sollten seine Worte umgehend unterstrichen werden, wurde er beim Verlassen des Restaurants, in dem wir ungestört diniert hatten, von mehreren Gästen aufgehalten, die seine Hand schütteln und sein Autogramm erhalten wollten, und sogar die Kellner gruppierten sich um den großgewachsenen Mann und warteten geduldig mit einer abgerissenen Quittung in den Händen. »Ich bin sicher, daß man anhand von Kricket ein Buch über Indien schreiben könnte. Ich war der erste ausländische Trainer in der Geschichte, und es war zu jenem Zeitpunkt gut, daß ich von außerhalb kam. Es interessierte mich nicht, ob ein Spieler aus dem Norden oder dem Süden stammte, aus welcher Kaste er kam und mit wem er verwandt und verschwägert war. Ich konnte

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