Gebrauchsanweisung fuer Indien
keine der dreizehn Sprachen, die im erweiterten Aufgebot gesprochen wurden. Wir hatten nur eine gemeinsame Sprache: Kricket.«
Später am Abend, nach dem vierten oder fünften Bier (wie die meisten Ozeanier ist John Wright sehr trinkfest), stand er auf, um mir den Googly zu demonstrieren. Er hatte sich vom Kellner eine Orange bringen lassen. Er legte seine Finger um die Frucht und zeigte mir, wie der Ball aus der Hand herausgeschleudert wird und wie die Finger ihm dabei einen unsichtbaren Dreh mitgeben. »Es ist die Absicht des Spin, den Ball in einem Winkel abspringen zu lassen, den der Batsman (Schläger) nicht abschätzen kann. Es gibt den ›inswinger‹, bei dem der Ball sich in den Batsman hineindreht, und es gibt den ›outswinger‹, der sich wegdreht. Der Googly ist ein Sonderfall. Der Ball fliegt nach dem Aufsprung in die entgegengesetzte Richtung, in die er aufgrund seiner Flugkurve und der Wurfbewegung hätte fliegen müssen.«
»Die ultimative Täuschung, also?« fragte ich.
»Der beste Con-Job (Täuschungsmanöver), den es im Sport gibt.« John Wright grinste.
Aber selbst John Wright konnte mir nicht sagen, woher der seltsame Begriff ›Googly‹ stammte. Es sollte einige Tage dauern, bis ich Antwort erhielt. Jemand hatte mich an ein lebendes Lexikon des Krickets verwiesen, an einen alten Herrn, der selten sein Haus verließ und nur auflebte, wenn im Fernsehen ein Match übertragen wurde. »Du wirst es nicht glauben«, schwärmte der Bekannte, als er mir die Adresse dieses Herrn überreichte. »Würdest du ihn fragen, wann zuletzt zwei Linkshänder in einem Spiel gegen England mehr als hundert Runs (Punkte) erzielt haben, er könnte es dir umgehend sagen.«
Ich wurde herzlich empfangen. Der alte Mann stützte sich auf einen Gehstock. Wir tasteten uns langsam durch eine dunkle Wohnung, bevor wir die Sitzecke erreichten, die gegenüber einem verhängten Fernseher postiert war.
»Sie schreiben für ›Wisden‹!« stellte der alte Mann fest. ›Wisden‹ ist der Weltalmanach des Krickets – mein Bekannter hatte es offensichtlich für nötig empfunden, meine Bedeutung zu erhöhen.
»Oh, nein«, sagte ich. »Ich habe schon für viele Publikationen geschrieben, niemals aber für ›Wisden‹.«
»Sorgen Sie sich nicht«, sagte der alte Mann tröstend, »Sie werden es eines Tages schaffen.«
Wir wechselten einige Worte über die momentane Schwäche der indischen Nationalmannschaft, bevor ich mich mit meiner Frage heraustraute.
»Der Googly? Und so etwas wissen Sie nicht? Na, dann wird es vielleicht doch nichts mit ›Wisden‹. Es war Bosanquet, B. J. T. Bosanquet (ich habe mir gewiß den letzten Rest Respekt verscherzt, als ich nachfragte, wie man den Namen dieses Kricketspielers schreibe). Während der MCC-Tournee von 1903 - 04. (Ich traute mich nicht zu fragen, was MCC ist, aus Angst, der Mann könnte mich empört seiner Wohnung verweisen.) Wer weiß, wie er auf diesen merkwürdigen Namen kam. Vielleicht hatte er seine Freude an Nonsensgedichten wie viele dieser Engländer. An Sprachspielen. Es kann sehr langweilig werden auf so einer Tour, da hockt man wochenlang herum und hat nichts zu tun.«
Wir saßen noch eine Weile in der Dämmerung, der alte Mann trommelte mit seinem Gehstock auf den Boden, und obwohl ich ihn gewiß mit meiner mangelnden Kenntnis enttäuscht hatte, fragte er mich, wer denn meiner Ansicht nach den Test (die wichtigsten Spiele im Kricket heißen ›Tests‹) zwischen Indien und England gewinnen werde. Höflich antwortete ich: Indien. Worauf der Alte nur noch sagte: Wetten Sie nicht darauf.
Bei jedem Kricket-Spiel, an dem Indien teilnimmt, werden weltweit hundertfünfzig Millionen Dollar verwettet, und wenn Indien gegen Pakistan spielt, kann der Betrag fünfhundert Millionen erreichen. Achtzig Prozent aller Sponsorengelder stammen aus Indien, und das indische Team ist weltweit beliebt. In den USA etwa zahlt eine Viertelmillion indischer Einwanderer viel Geld, um auf einem privaten Sender die Spiele während einer WM zu sehen.
Heute ist Kricket Big Business. Die Werbeabteilungen der Konzerne richten ihre Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf die Stars. Heroen wie der ›master blaster‹ Sachin Tendulkar werben ebenso für Pepsi, Kodak oder adidas wie für Banken, Versicherungen und Autohersteller. Zumal Kricket fürs Fernsehen wie geschaffen ist: mit geringen Kosten wird ein ganzes Tagesprogramm abgedeckt, denn selbst die Kurzfassung des Spiels dauert etwa acht
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