Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gebrauchsanweisung fuer Indien

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
Vom Netzwerk:
jeder«, erklärte er. »Die einfachen Leute haben Angst, Schlangen zu berühren. Nur ein Sapera kann eine Schlange anfassen. Und nur ein Sapera kann einen anderen Sapera erkennen. Wir haben unsere eigene Sprache, unseren eigenen Gang, unsere eigenen Gewohnheiten. Am wichtigsten aber ist die Körperhaltung. Schlangen müssen sehr sorgfältig getragen werden, ob in einem Korb oder am Körper.«
    »Wie, am Körper?« rief ich erschrocken aus.
    »Wie unser Herr Shiva. Man kann sie natürlich auch auf dem Kopf tragen, im Turban, aber dann darf man den Kopf beim Gehen nicht zu sehr bewegen. Oder in den Schuhen, in eigens dafür hergestellten Zwischenräumen. Dann muß man aber sehr leichtfüßig auftreten. Oder in der Unterwäsche, das ist die schwierigste Art, eine Schlange zu transportieren, aber wir können es. Nur wir wissen, wie man sich bewegt, wenn man eine giftige Schlange in der Unterhose trägt. Das ist ein ganz besonderer Gang. Nur ein Sapera kann diesen Gang erkennen.«
    Durga Nath war – wie die anderen etwa hundert Schlangenbeschwörer im Einsatz – der Shiv Sena dankbar, denn endlich einmal verdiente er gutes Geld, fünfhundert Rupien am Tag, und erhielt zwei warme Mahlzeiten. Allerdings fand weder er noch irgendeiner seiner Kollegen eine einzige Schlange. Es gereicht der Gilde der Schlangenbeschwörer zur Ehre, daß sie ihre Fertigkeiten nicht an die Shiv Sena verkauft hatte. Indien gewann dieses Testmatch souverän; kurz darauf brach die Shiv Sena in das Büro des indischen Kricketverbandes ein und zerstörte den einzigen Pokal, den Indien je bei einer Weltmeisterschaft gewonnen hat, im Jahre 1983.

    Wer in der indischen Politik reüssieren will, muß in seinem Repertoire einen besonders raffinierten Googly führen. Äußerungen werden der Öffentlichkeit oft so hinterhältig hingeworfen, daß nur außergewöhnliche Meister des Spiels das wahre Ziel des Angriffs erkennen können. Auch hier ist die Shiv Sena besonders einfallsreich. Sie provoziert seit Jahren geschickt Skandale aus völlig unverfänglichen Situationen. Das Prinzip ist denkbar einfach: Zuerst verkündet sie mit lauter Stimme, ein Sakrileg bahne sich an, und offensichtlich sei niemand gewillt, die Ehre des Vaterlandes und die Reinheit des Hinduismus zu verteidigen, außer der Shiv Sena. Wenn man genauer hinhört, erfährt man etwa, daß eine Popsängerin daran gehindert werden muß, in einem Tempel in Varanasi ein Ritual namens ›Abhishek‹ durchzuführen. Grund: Ihr Name, Parvati Khan, gebe Anlaß zur Befürchtung, sie sei keine Hindu. Nun stimmt es zwar, daß der Namen Khan eher bei Moslems anzutreffen ist, aber der Vorname der Frau ist eindeutig aus der Hindu-Mythologie geschöpft. Zumal es nicht einleuchtet, wieso eine moslemische Frau ein hinduistisches Ritual vollziehen möchte. Daraufhin weigert sich die Popsängerin, einen Beweis ihrer Rechtgläubigkeit darzubieten, was unter anderem damit zusammenhängt, daß es keine amtlichen Papiere gibt, die einen als Hindu ausweisen, was der Shiv Sena bestens bekannt ist. Der Konflikt verschärft sich. Aktivisten rotten sich vor dem Tempel zusammen, ein kleiner Bürgerkrieg droht, Politiker rufen zur Mäßigung auf, Bürgerrechtler solidarisieren sich mit Parvati Khan, bis die Popsängerin einsieht, daß ihr an dem ›Abhishek‹ doch nicht soviel gelegen ist, und sie ihren Wunsch zurücknimmt, worauf die Shiv Sena in der Öffentlichkeit als Retter des Allerheiligsten dasteht.

    Alfred Ford hatte alles richtig gemacht. Er hatte sich mit den führenden Lokalpolitikern abgesprochen, er hatte seinen Plan von den Behörden des Bundesstaates Himachal Pradesh und dem Tourismusministerium absegnen lassen. Er hatte zugesichert, siebzig Prozent der Arbeitsplätze an Einheimische zu vergeben, er hatte ein Investitionsvolumen von über hundert Millionen Euro (das höchste in der Geschichte des Tourismus in Indien) garantiert. Sein Plan, in den Bergen eine gewaltige Skianlage mit siebenhundert Hotelzimmern und dreihundert Chalets, mit Seilbahnen und Skiliften zu entwickeln, ein Projekt mit dem bescheidenen Namen ›Himalayan Ski Village‹, schien auf dem besten Wege zu sein. Doch Alfred Ford, Nachfahre des Industriellen Henry Ford, hatte nicht bedacht, wie tückisch etwas aufspringen kann, das geradlinig dahergeflogen kommt. Als alles, was in der Politik und Verwaltung Rang und Namen hat, zugestimmt hatte, protestierten die Götter. Auf das Entschiedenste. Alfred Ford hätte es ahnen können, denn er

Weitere Kostenlose Bücher