Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
hochzufahren? Sich in Schihütten betrügen zu lassen? – Ich glaube nicht an die kolportierte Freude beim Schifahren. Nein, das Schifahren gehört zu diesen Dingen, die wir so gerne tun, um wieder damit aufzuhören (vergleiche Dichterlesungen). Die Bedeutung des Apres-Ski ist neben der gastronomischen eine therapeutisch-rituelle. Es handelt sich um eine Feier der Überlebenden.
Der eigentliche Sinn des Schifahrens eröffnet sich dem Österreicher aber natürlich dadurch, daß er dank dieser Sportart ins Bewußtsein der Welt rückt. Zum Sport gehört die Hysterie. Sie wird im Falle österreichischer Schistars mit ungemeiner Intensität betrieben. Wenn man Ärzte als Götter in Weiß bezeichnet, so sind Schisportler Götter im Weiß. Und wie auch bei den Ärzten kann man sich nicht sicher sein, ob hier die Wirklichkeit die Fiktion beeinflußt oder umgekehrt. Ob Menschen, die Schisportler sind, wirklich so unglaublich gesund und fröhlich und bodenständig und kernig sind, daß jedes ihrer Wörter im Interview ein oberschenkelartiges Volumen besitzt? Sehen sie nur so aus wie Stollenwichtel, die man aus dem Berg herausgeholt und zu beträchtlicher Größe aufgebläht hat? Oder sind sie tatsächlich Stollenwichtel?
Wenn sie im Ziel stehen, keuchend, aber ungebrochen, verkörpern sie eine österreichische Muskularität, ein Niederringen gar nicht so sehr der Gegner als der Natur, die man sich schifahrenderweise untertan macht. Die Piste — so perfekt sie präpariert ist, so perfekt sie gestaltet wurde – ist ein Stück unbändiger, widerspenstiger Natur, das vom Schifahrer gezähmt wird.
Für den Österreicher ist das Schifahren nicht zuletzt eine politische Angelegenheit. Eine Auseinandersetzung mit der Welt, mit den anderen, die uns nicht verstehen und die auch noch neidisch auf uns sind. Auf unsere Berge und unseren Schnee und unsere Eigenart. Wir fühlen uns beäugt, verfolgt und — wenn wir mal nicht gewinnen — von finsteren Mächten um den Sieg gebracht. Ein Gefühl, das ganz sicher seinen historischen Ausgangspunkt im Jahre 1972 nimmt, als das IOC dem österreichischen Nationalhelden Karl Schranz die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Sapporo verweigerte, weil dieser angeblich den Amateurstatus verletzt hatte. Daß ein solcher Amateurstatus zu dieser Zeit überhaupt noch existierte, ist natürlich eher als ein Witz anzusehen. Dazu kam, daß Karl Schranz schon zuvor bei Olympischen Spielen dank göttlicher oder weltlicher Fügungen um Gold gebracht worden war: verletzt, krank, disqualifiziert. Und nun war also der IOC-Präsident Avery Brundage an die Weltöffentlichkeit getreten und hatte den Schranz-Karli wegen irgendeinem depperten Kaffeeaufdruck auf irgendeinem depperten Leiberl bei irgendeinem depperten Benefiz-Fußballturnier von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. – Ich habe bis heute diesen Mann namens Brundage als eine monströse Erscheinung in Erinnerung, welcher mir, elfjährig, der ich war, als ein Teufel erscheinen mußte. Ein Teufel, der das Land, in dem ich gerade aufwuchs, zu vernichten versuchte.
Darum war es auch mehr als angebracht, daß der frühe Populist Bruno Kreisky es sich nicht nehmen ließ, den von der Welt ausgestoßenen und in die Heimat heimgekehrten Leider-nein-Olympiasieger der Volksmenge auf dem Balkon des Kanzleramtes zu präsentieren. Somit konnte der sichtlich gerührte Schranz auf einen Heldenplatz hinunterschauen, auf den schon Hitler geblickt und das Meer aus Menschen wohlwollend zur Kenntnis genommen hatte, so wie lange nach Karl Schranz der polnische Papst Johannes Paul II. Ein Platz, auf dem auch 150000 Menschen gegen Jörg Haider — den Lieblingsdämon der österreichischen Seele — demonstriert hatten. Und nicht zuletzt ein Platz, über den Tag für Tag große und kleine Haushunde hetzen, ja geradezu fliegen, dabei kläffend und bellend ein Klangstück entwickeln, welches davon berichtet, daß in Wirklichkeit die Haushunde in Wien regieren. Und daß das immer so bleiben wird.
Mit der Schranz-Verhinderung durch das IOC hat gewissermaßen eine Österreich-Verhinderung ihren Einzug gehalten, die von da an vor allem von den Sportreportern des ORF mittels waghalsigster Formulierungen und einer unverblümten Parteilichkeit thematisiert wurde. Nicht nur im Schisport, wo eine Niederlage der Österreicher entweder mit einem Zauberwachs des Gegners (Blutdoping für die Lauffläche) erklärt wird, mit den irregulären Wetterverhältnissen (Nebel, der immer nur
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