Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Österreicher als Deutscher war). Man schrieb das Jahr 1970, als Rindt beim Abschlußtraining zum Großen Preis von Monza ums Leben kam und postum Formel-1-Weltmeister wurde. Es war das erste Mal in meinem Leben, mit neun Jahren, daß ich die tragische Bedeutung des Todes erfuhr. Den Tod von jemandem, der gar nicht zur eigenen Familie oder Verwandtschaft gehörte, aber den meisten dennoch ungemein nahegestanden zu haben schien. Ich erkannte somit auch die »familiäre« Bedeutung einer Person, die aus dem Fernsehen stammte, deren Aussehen, deren Handlungen und Worte, ein Lächeln, ein Zwinkern, das Herabziehen des Helmes vom Kopf in einen jeden Haushalt hineinflimmerte. Ich wußte noch nicht um das Wort »telegen«, aber genau dies war Rindt mehr als jeder andere gewesen. Ein idealer Kopf, vor allem aber ein idealer Blick, ein in die Zukunft gerichtetes Schauen, eine Zukunft, die hinter der nächsten Kurve lag und in der alles besser und schöner sein würde.
Rindt war ein Pitralon-Mann, ein Typus, den Steve McQueen mittels einer Stilisierung stilisierter Wirklichkeit verkörpert hatte. Männer, die schnell fuhren und schnell flogen und schnell lebten, die aber bei alldem den Eindruck größter Gelassenheit hinterließen. Deren Puls mit der äußeren Geschwindigkeit zu fallen schien. Und die bei aller Virilität und Dominanz nicht wie Machos daherkamen, obgleich deren Frauen freilich austauschbar schienen (im Stil der sich abwechselnden Bond-Girls), selbst dann, wenn es sich stets um die gleiche handelte. Diesen Pitralon-Männern hing zudem auch etwas Poetisches an, und damit etwas Trauriges. Deren Fliegerei und Fahrerei, deren Expeditionen und Abenteuer besaßen den Geruch des Sinnlosen. Sie waren Millionäre, das schon, aber Millionäre, bei denen man sich vorstellen konnte, sie würden aus einer puren Laune heraus ihr Vermögen im Kamin verbrennen (als das noch möglich war: Koffer voller Geld, echte Kamine).
Die Betroffenheit der Erwachsenen um mich, als Rindt starb, erstaunte mich ob ihrer Intensität. Ich verstand noch nicht die Bedeutung eines Rennfahrers, der ein Idealleben vorgelebt hatte und dessen Tod als gleichzeitig tragisch und erhaben empfunden wurde. Wie von Gott gewollt, nicht, weil Gott ein Sadist ist, sondern ein Ästhet, der einen jungen Mann auf der Bühne seines Lebens und Wirkens sterben läßt in einem Auto, das den zauberischen Namen Lotus trägt. Anstatt diesem Mann ein langes Leben zu bescheren, ein Altern, ein Dämmern, irgendeine Krankheit oder mildes Entschlafen. Nein, in diesem Fall kann man wirklich sagen: Der Tod krönt das Leben.
Es war eine Zeit, als es noch zu vielen tödlichen Unfällen in der Formel-1 kam. So schrecklich das für alle nahen und fernen Betroffenen natürlich war, spiegelte diese Sportart solcherart ein rundes Bild vom Leben, das Prinzip schicksalhafter Wendungen, Glück & Tragödie, Spiel & Ende des Spiels und nicht zuletzt das alles bestimmende Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, das Wissen darum, daß die Maschine (und wer empfindet sie stärker und direkter als ein Formel-1-Pilot, der in dieser Maschine wie in einer dritten Haut steckt, einem Kokon?), daß die Maschine also unser Leben fördert und gleichzeitig gefährdet. Die Perfektion heutiger Formel-1-Wagen ist natürlich mehr als wünschenswert (gepaart mit vielen Sicherheitsmaßnahmen), erzeugt jedoch ein Bild von einer Mensch-Maschine-Symbiose, die erstens wenig repräsentativ ist und uns zweitens – wenn man ganz ehrlich ist — langweilt. Wir sehen in der Maschine auch immer den Feind. Diese Feindschaft erregt uns. Warum, bitte, haben wir ständig diese Phantasien von der Übernahme der Weltherrschaft durch Maschinen? Warum denken wir uns Roboter so gerne als Revolutionäre? Warum sehnen wir uns nach Sex mit Rechnern? Und woran denken wir, wenn wir sehen, wie diese Rennpiloten sich in ihre Cockpits zwängen?
Zu Rindts Zeiten waren Konfrontation und Freundschaft im Umgang mit Maschinen deutlicher. Auch die ganz normalen Pkws vermittelten mittels ihrer Optik etwas Individuelles, Persönliches, Eigenständiges. Heutige Autos hingegen erscheinen zwar als perfekte, dafür aber seelenlose und recht geistlose Maschinen. Sollten sie sich einmal gegen uns wenden, dann wohl auf eine dumpfe und brutale Art.
Wenn ich an Jochen Rindt denke, dann denke ich an die Tränen von Menschen, die ich nie davor und danach wieder weinen sah.
Um diesen kleinen Kreis bedeutender österreichischer Sportgrößen zu
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