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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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dies, um sich in etwas Besseres und Edleres verwandeln zu lassen. Man sollte einmal nachforschen, was aus diesen Personen geworden ist.
    Hansi Orsolics jedenfalls hatte so seine Probleme mit einem Leben fern der Seile und der neutralen Ecken, ein Leben, in dem die Ausschaltung eines Gegners auf diffizilere Weise zu erfolgen hat, etwa mittels ruinösen Wettbewerbs, mittels geschickter Auslegung der Gesetze und einer Feinabstimmung des Illegalen. Aber eben nicht durch einen linken Haken, so sehr uns dieser, im Wettkampf vorgetragen, zu begeistern mag. Boxen beweist uns einen animalischen Hintergrund. Der Boxring funktioniert wie ein Naturkundemuseum, in welchem wir eine wilde Rasse bestaunen, die ein bißchen mit uns zu tun hat. Wir sind aber keine Tiere, sondern Monster. Monster boxen nicht. Sie haben ganz andere Möglichkeiten.
    Orsolics »einfache« Art hat es ihm schwergemacht. Gleichzeitig kann ich mich nicht erinnern, daß dieser Mann jemals in Vergessenheit geraten wäre (wie es zum Beispiel bei Ilona Gusenbauer durchaus der Fall war). Dazu kam, daß er — ein fulminant miserabler Sänger – einen Hit landete, der passenderweise den Titel »Mei potschertes Leben« trug; ein Hinweis auf so manche ungünstige Entwicklung. Wobei der Begriff »potschert« möglicherweise auf das ungarische bacsánat zurückzuführen ist und damit einen Menschen bezeichnet, der sich ständig entschuldigen muß. Hans Orsolics ist genau dieser Typ, der zuschlägt, sich entschuldigt, zuschlägt. . . Aber er hat es geschafft, aus dem Ring und den ewig sich wiederholenden Runden herauszukommen, hat seine Schulden zurückgezahlt, ist seit zwanzig Jahren frei vom Alkohol und arbeitet dank der Intervention des Sportreporters Sigi Bergmann in der Hausdruckerei des ORF. Auch Sigi Bergmann ist so ein Urgestein und mit Sicherheit der beste Sportreporter, den dieses Land je hatte. Über die anderen österreichischen Sportreporter soll hier nur gesagt sein, daß auch Steine und Polstermöbel nicht sprechen können. Im Unterschied zu mancher Teekanne.
    Es sei zudem noch erwähnt, daß mit Orsolics Triumphen im Boxring, wie auch einigen bitteren Niederlagen dortselbst, eine bestimmte Architektur verbunden wird, nämlich die von Roland Rainer entworfene, 1958 fertiggestellte Wiener Stadthalle, ein Paradestück moderner und so funktionaler wie formschöner Gebäudekunst (später kamen noch das Stadthallenbad und die sogenannte Halle E hinzu). Diese Bauten passen sich bei aller kantigen Originalität erstaunlich sanftmütig in das Stadtbild ein. Es handelt sich hier noch in keiner Weise um Architektur als Skulptur; wie man das von vielen späteren Gebäuden kennt, welche mehr die Hobbys und Phobien des jeweiligen Architekten widerspiegeln als den Anlaß, der dem Bau zugrunde liegt. Anders die Wiener Stadthalle, die beschwingt und elegant, aber nicht minder wehrhaft und massiv, einem sofort verrät, was sie ist und warum sie ist: nämlich simpler- und grandioserweise eine Halle für die Stadt. – Ich würde dem Betrachter empfehlen, ins Schwimmbad zu gehen und ein paar Mal rauf und runter zu kraulen. Eine gute Art, Architektur zu erleben. So wie man Berge am besten begreift, wenn man sie hochsteigt. Und Boxer am besten, wenn man mit ihnen boxt.
    Bezüglich Fußball bin ich mir allerdings nicht so sicher. Fußball ist eine überaus abstrakte Angelegenheit. Das ist wörtlich zu nehmen. Es ist wie mit ungegenständlichen Bildern, die zu beurteilen sich ein jeder anmaßt. Kaum weiß jemand, was ein Abseits ist, fühlt er sich sämtlichen Schiedsrichterentscheidungen überlegen. Besonders schlimm wird es natürlich, wenn eine bestimmte Fußballnation in eine Krise gerät oder die längste Zeit aus einer Krise nicht mehr herausfindet, diverse Etappen der Depression durchmacht, Babyalter, Pubertät, Erwachsenenalter. Die Depression des österreichischen Fußballs hat bereits so viele Entwicklungsstufen hinter sich, daß man eigentlich von einem Reifeprozeß der Krise sprechen könnte, einem Alterwerks oder aber einer geriatrischen Epoche (so jung die Spieler auch sein mögen). Optimisten werden vielleicht sogar von einem baldigen Ende mit Schrecken, einer Purgation der Krise sprechen.
    Obgleich natürlich auch in Österreich die Zahl der selbsternannten Fußballexperten sehr groß ist und das Hände-über-dem-Kopf-Zusammenschlagen die Standardgeste des Publikums darstellt, meine ich neuerdings einen gewissen Gleichmut zu erkennen. Einen Humor, einen

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