Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
philosophischen Habitus, das Wissen darum, daß der Wein nicht schlechter wird, nur weil die österreichische Nationalmannschaft den Eindruck macht, für die Europameisterschaft im Sackhüpfen zu trainieren. Die meisten Österreicher warten nicht wirklich auf einen neuen Trainer, einen neuen Präsidenten, ein neues Konzept, sondern ganz einfach auf ein neues Wunder.
Warten ist auch so eine Kunst, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann.
Nein, nicht die vielgerühmte oder auch nur berühmt-berüchtigte Sachertorte sollten Sie als erstes zu sich nehmen, wenn Sie auf dem Planeten Österreich landen, sondern in den nächsten Supermarkt gehen und eine Packung Schwedenbomben erstehen, um sich dann der schwierigen Aufgabe zu stellen, in welcher Verteilung die drei »schwarzen« und die drei »weißen« Schokoladekörper zu verzehren sind. Was natürlich nicht zuletzt davon abhängt, ob Sie diese zauberhafte Süßware alleine, in einer fatalen Duellsituation oder im freien Feld einer ganzen Gruppe zu sich nehmen. Das ist keine Kleinigkeit, und ich kann mich an einige Konflikte meiner Kindheit erinnern, wenn zwei Menschen und eine Packung Schwedenbomben zusammenkamen und sich Anschauungen und Vorlieben überkreuzten.
Zur Erklärung: Schwedenbomben sind ein Produkt der Traditionsfirma Niemetz. Walter Niemetz erfand 1930 in Kooperation mit einem schwedischen Konditormeister jene spezielle Variante des Mohrenkopfs, auch als Negerkuß oder Schaumkuß bekannt. Es spricht für die österreichische Raffinesse im Umgang mit Sprache, die problematische Verbildlichung von Schwarzafrikanern in eine humoristische Verbildlichung von Nordeuropäern verwandelt zu haben.
Wer mit Schwedenbomben aufwächst, kommt allerdings selten auf die Idee, sich großartig über die Herkunft des Begriffs Gedanken zu machen. So ist es immer mit Sprache: Im Vertrauten löst sich das Merkwürdige auf. So bin ich seit jeher gewohnt, bei der Erkundigung nach einer Telefondurchwahl eben nicht von »Durchwahl« zu sprechen, sondern den sehr viel stärker durchbluteten Terminus »Klappe« zu verwenden. Das Vertraute bleibt in der Regel nämlich auch frei von Assoziationen. Eine Klappe ist eine Klappe, und eine Schwedenbombe ist eine Schwedenbombe. Warum etwas so heißt, wie es heißt, ergibt sich erst aus der Nachfrage eines Ausländers, der über einen detektivischen Ehrgeiz verfügt, alles wissen will, alles aufregend findet, nichts ausläßt. — Wenn man einen Menschen sieht, der auf eine Gedenktafel schaut, dann weiß man sofort, er ist nicht von hier. Wobei es keineswegs so ist, daß die Einheimischen (die Leute aus dem »Grätzel«) genau wüßten, was auf dieser Tafel steht, und selbige darum nicht betrachten. Für sie besteht die Tafel als solche, als Ornament, nicht als Träger eines Inhalts. So ist es auch mit Kunstwerken. Den Österreicher, wenn ich das so verallgemeinern darf, interessiert es – sehr im Unterschied zum Deutschen — wenig, wann genau ein Kunstwerk entstanden ist, wie der Titel lautet, ja wie der Künstler heißt. Es gibt in Thomas Bernhards Prosakomödie Alte Meister eine ganz wunderbare Beschreibung deutscher Museumsbesucher, von denen gesagt wird: »Die Deutschen schauen im Kunsthistorischen Museum die ganze Zeit in den Katalog, während sie durch die Säle gehen, und kaum auf die an den Wänden hängenden Originale, sie folgen dem Katalog und kriechen, während sie durch das Museum gehen, immer tiefer in den Katalog hinein, so lange, bis sie auf der letzten Katalogseite angelangt und also wieder aus dem Museum draußen sind.«
Wenn jedoch in der Folge die Gleichgültigkeit der Österreicher gegenüber der Museumskunst behauptet wird, denke ich, ist das ein Irrtum. Der Österreicher interessiert sich freilich weniger für das Gemälde an sich als für seine Funktion im Raum: Warum hängt dieses Gemälde hier und nicht woanders? Warum besitzt es einen solchen Rahmen und nicht einen anderen? In welcher Beziehung stehen die Bilder zueinander? Harmonieren sie? Streiten sie? Atmen sie, oder sind sie tot? — Ich will nicht sagen, der Österreicher sei ein Dummkopf, der einen Bruegel von einem Tizian nicht auseinanderhalten könnte. Aber diese Unterscheidung ist es nun mal nicht, was ihn wirklich interessiert. Er ignoriert die Fakten, um sich tieferen Fragen zu stellen. Er ist weniger kunsthistorisch veranlagt als philosophisch. Und auch wenn das natürlich eine bloß theoretische Frage ist, so wird sie insgeheim sicher
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