Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
die in der Abkürzung verlorengehen würde. Daß dies mitunter als Ausdruck von Langeweile und Langatmigkeit begriffen wird, ist das Mißverständnis derer, die meinen, um einen »Runners High« zu erreichen, würde es genügen, ein paar Minuten auf einem Laufband zu stehen.
Stifter – berühmt für seine Freßsucht, seine unfaßbaren Aufzählungen des soeben Verschlungenen — gehört zu jenen Menschen und Dingen und Themen, die niemanden kaltlassen, zumindest keinen Österreicher. Jeder hat seine Meinung zu Stifter, als ginge es darum, den österreichischen Fußball zu bewerten. Stifter ist eine Angelegenheit des Stammtisches. Gerade deshalb ist die »Würdigung« Stifters in Thomas Bernhards Alte Meister so treffend, und zwar nicht vom Inhalt her, sondern mittels der Art und Weise, mittels der Form liebevollgehässiger Aburteilung. Da wird gesagt: »Stifter ist auf den längsten Strecken seiner Prosa ein unerträglicher Schwätzer, er hat einen stümperhaften und, was das Verwerflichste ist, schlampigen Stil, und er ist tatsächlich außerdem auch noch der langweiligste und verlogenste Autor, den es in der deutschen Literatur gibt.« — Das sind nur Superlative, weil sich nämlich Österreicher ungern damit abgeben, bloß der Zweitbeste oder der Zweitschlechteste von was auch immer zu sein. So ist auch der Streit darum, der Gescheiteste zu sein, kaum zu unterscheiden von dem Streit, der Blödeste zu sein. Es ist ganz bezeichnend, wieviel Raum Thomas Bernhard in seinem Buch der Stifter-Vernichtung gibt, etwa im Unterschied zur positiven Erwähnung Goethes, die quasi in einem Nebensatz erledigt wird. Das Gehaßte ist gleichwohl das Gute, das Nichtgehaßte dagegen eine Marginale, eine Buchregalverpflichtung. Ein Sessel hat nur dann einen Wert, wenn es sich um einen »scheußlichen Loos-Sessel« handelt, also einen Sessel mit wirklichen Eigenschaften, einen Sessel, der Gefühle zu evozieren versteht.
Entweder der Österreicher liebt Stifter oder er haßt Stifter, aber in jedem Fall wird er Stifter einen großen Platz in seinem Herzen zugestehen, eine ganze Sitzbank, eine Sitzbank mit Aussicht, passenderweise.
Wenn möglich, sollte man sich nicht nur mit Stifter, dem Autor, und Stifter, dem Esser, beschäftigen, sondern auch mit Stifter, dem Maler. Er hat ganz wunderbare kleine Gemälde geschaffen, von denen selbst die beendeten etwas Halbfertiges und Unschlüssiges besitzen. Es handelt sich jedoch nicht um Skizzen, sondern um Studien. Das Selbstbewußtsein eines Waldmüller, die Klarheit und das Licht und der Atem Gottes fehlen hier völlig. Es ist mehr als verständlich, daß Stifter die Literatur nötig hatte. Nicht, weil er nicht malen konnte, sondern weil er seine Striche nicht zu Ende denken konnte. Was auch immer ihn davon abhielt. Sehenswert ist das dennoch, umso mehr, als gerade die Malerei Unsicherheiten sehr viel besser verträgt als die Literatur. Die Literatur ist Spezialist für richtige Antworten, die Malerei Spezialist für richtige Fragen.
Wenn Sie nun aber eher an Antworten interessiert sind, allerdings zu denen gehören, die sich von einem siebenhundert Seiten starken Buch erschrecken lassen, zumindest wenn kein besänftigender Hinweis wie Thriller oder Historischer Roman oder Kommissar Krummhübels dritter Fall Ihnen die Angst nimmt vor der Länge mancher Kommentare, ja vor der Länge des Lebens an sich, dann also nicht zu Stifters Nachsommer greifen, sondern seinen Bericht Die Sonnenfinsternis lesen (in der schönen Ausgabe der Weitraer Bibliothek der Provinz), einen nur wenige Seiten langen Text, der eins dieser Dinge behandelt, »die man fünfzig Jahre weiß, und im einundfünfzigsten erstaunt man über die Schwere und Furchtbarkeit ihres Inhaltes«. Stifter beschreibt die Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842 als etwas Unsagbares, das man aber mit Worten dennoch fassen kann, zumindest anfassen in der Weise, wie man seine Finger vorsichtig in eine Flüssigkeit taucht.
Mit diesem Text ist es wie mit einer gelungenen Literaturverfilmung. Wenn man sie einmal gesehen hat, kann man die literarische Vorlage nicht mehr lesen, ohne daß einem die Bilder aus dem Film durch den Kopf gehen. Man liest Lowrys Unter dem Vulkan und sieht Albert Finney, man liest Kings Sie und sieht Kathy Bates, man liest Kafkas Prozeß, und vor dem geistigen Auge materialisiert sich die schlaksig-psychotische Gestalt des Anthony Perkins, während einem im Ohr Albinonis Adagio erklingt. Einmal die Sonnenfinsternis von Stifter
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