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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Malereien schätze ich am meisten die Arbeiten des Oswald Tschirtner, langgezogene Kopffüßler, die dem weißen Raum die Linie des eigenen Körpers aufzwingen, den gekrümmten Raum wieder geradebiegen, eine Ordnung schaffen, die beruhigt. Das Schöne an Tschirtners Arbeiten ist, daß sie trotz der impliziten Monumentalität der Figuren, trotz des totemartigen Wuchses ganz wunderbar im kleinen Format wirken, als Postkarte noch. Große Kunst tut das immer: im kleinen Format funktionieren. Ich weiß nicht, ob es einen Tschirtner als Briefmarke gibt, aber ich weiß, es würde einen selbst da noch überwältigen.
    Das kleine Format verlangt Würde und Konzentration. Das große hingegen verführt zu Pathos und dramatischer Raumfüllung. Darum erscheint mir die Kunst des Biedermeiers so wesentlich, auch wenn das »kleine Format« teilweise der Repression der Zeit zu verdanken war. So wie heute die Repression das große Format fordert, das mächtige Kommentar. Man verlangt vom heutigen Künstler den stilsicheren Aufschrei und die glamouröse Provokation, man verlangt, daß er Leute ärgert, die sich gerne ärgern lassen, man verlangt, daß er ständig darauf verweist, total frei zu sein, alles denken und alles sagen zu dürfen. Der Künstler aber, der sich unfrei fühlt, gilt als ein Versager.
    Nichtsdestotrotz besitzt das Biedermeier noch immer eine gewisse Wirkung und Faszination. Nicht nur bei Leuten, die aus konservativen Gründen die Produkte und Stilfindungen dieser Epoche hochhalten. Das Biedermeier hat sich auf eine schlangenhafte Weise bis in die heutige Zeit gerettet. Es ist wie eine Botschaft, die nach zweihundert Jahren halt zur geheimen Botschaft wurde. Etwa die Musik Franz Schuberts. Mozart mag eine Popikone sein, ein österreichischer Mangastar, der als Beweis für den grundsätzlichen Genius in diesem Lande herhält, Schubert aber wirkt nach innen hin. Nicht zuletzt, weil er als »Sonderling« begriffen wird, als der Meister des kleinen Formats, des Lieds.
    Das Bild, das die Österreicher von Schubert haben, ist ungleich einheitlicher als das von Mozart. Wir sehen den kleinen, dicklichen, oval bebrillten Mann vor unserem geistigen Auge, sind gerührt, nicht selten zu Tränen — dieser Mann ist einer von uns, obwohl früh begabt, kein grandioses Wunderkind, obwohl ein Genie, kein Schöpfer großer Opern. Doch seine Musik ist ausgesprochen nahe am Menschen (am Menschlichen im Menschen, denn das gibt es), wie überhaupt das Biedermeier – und das macht es so reizvoll – das Individuum quasi umgarnt, umspannt, mittels der Ornamentik strukturiert. Das Individuum aus dem Dunkel eines schicksalhaften Geworfenseins herausholt und ins Licht stellt. Kein göttliches Licht, kein künstliches Licht, sondern simples Sonnenlicht. Darum die Bedeutung der Natur im Biedermeier.
    Man kann das sehr gut an den Gemälden Ferdinand Georg Waldmüllers sehen, welcher in seinen besten Arbeiten die sogenannten einfachen Leute vom Land in den Mittelpunkt stellt und damit ins Licht der Sonne. Ein Licht, das die dargestellten Personen dadurch idealisiert, indem sie das schöne Wesen dieser Menschen beleuchtet. Also nicht etwas erfindet, was gar nicht da ist, sondern eine vorhandene Würde herausstellt.
    Erstaunlicherweise gelingt dies Waldmüller selbst dann, wenn er ein Blumenbild malt. Es ist das gleiche freundliche, aber bestimmte Licht, das hier den Dingen, der Vase, den Blumen, den Blättern und Trauben und Ranken, eine Noblesse nicht verleiht, sondern zurückgibt. Die oft behauptete Verlogenheit des Biedermeiers, das Ausblenden der realen sozialen Zustände, das Verschweigen einer folgenreichen Sexualität, die Ausklammerung politischer Konflikte, ist natürlich den zensorischen Maßnahmen dieser Zeit zu verdanken, führt jedoch zum zärtlichen Umgang der Künstler mit ihren Objekten und Sujets. Dies erscheint mir weniger ein Leugnen des Faktischen, als vielmehr eine Konzentration auf das unangreifbare poetische Element, welches in allen Dingen steckt. Auch in der einfachen Schlafkammer, durch die das Sonnenlicht hereinfällt und das Zimmer und die Gegenstände verwandelt. Das Gemälde ignoriert nicht die Schäbigkeit des Raums, thematisiert aber seine Metamorphose.
    Ich empfinde die Biedermeierschen »Räume« als sehr viel unabhängiger denn unsere heutigen, welche größtmöglicher Kontrolle unterliegen. Das Licht, das in unsere Zimmer dringt, stammt nicht von der Sonne, sondern aus dem Fernseher. Der Fernseher ist eine

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