Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Deutschlands« bezeichnet. Hier könne man sogar das Haustier mit zur Arbeit bringen und in der Mittagspause spazieren führen.
Im Babelsberger Stadion wird auch gespielt. Nur die Art des Spiels unterscheidet sich. Die erfolgreichste Brandenburger Fußballmannschaft, Turbine Potsdam, Champions League-Sieger von 2010 und drei Mal hintereinander deutscher Meister, trainiert zwar im ehemaligen Luftschiffhafen und heutigen Olympia-Stützpunkt Potsdam; im Babelsberger Karl-Liebknecht-Stadion werden allerdings die Heimspiele ausgetragen.
Potsdamer Querelen
Babelsberg liegt auf der anderen Seite der Havel. Und da beginnt das Problem. Das Zentrum von Potsdam und die begehrten Wohnviertel der Innenstadt, die nur dem Namen nach noch Vorstädte sind wie die Brandenburger, Jäger, Nauener und die Berliner Vorstadt, liegen westlich des Flusses. Babelsberg und ein paar unwesentliche Satellitenviertel wie Waldstadt und Siedlung Nuthestrand östlich. Und wie man das aus anderen Städten wie Köln oder Frankfurt/Main kennt, wird die jeweils andere Flussseite schief angesehen. Das äußert sich in gemeinen Vorurteilen und übler Nachrede auf beiden Seiten, die natürlich kein Außenstehender versteht, weshalb es müßig ist, sie hier im Einzelnen auszubreiten. Nur so viel: In Babelsberg gibt es wenig Touristen, und darauf sind die Bewohner des Holländerviertels in der Innenstadt oder die Anwohner rund um Sanssouci neidisch. Wenn sie auf die Straße gehen, kommen sie sich vor, als wären sie in Bayreuth, Hamburg, Stuttgart oder Tokio, was dazu führt, dass ihr gemütliches Heimatgefühl ständig bedroht wird. Im Babelsberger Wohnviertel wiederum ist man neidisch auf den Hauch der großen weiten Welt, der zumindest tagsüber durch Potsdam weht. Die meisten Häuser in Babelsberg-City sind klein und geduckt. Sie waren einmal von armen böhmischen Webern bewohnt, die Friedrich der Große in der Kolonie Nowawes angesiedelt hatte. Wer später als neun Uhr abends unterwegs ist, hat das Gefühl, auf dem Land zu sein. Der würzige Geruch nach Erde liegt in der Luft, auf der Straße kein Mensch, das Lachen der Gäste in der S-Bahn-Kneipe schallt klar durch die Abendstille. Im beleuchteten Schriftzug des Friseursalons flackert eine Neonröhre. Die internationale Filmwelt fährt hier höchstens durch; in der geschlossenen Limousine auf dem Weg zum Flughafen.
Das Fehlen der großen weiten Welt würde natürlich in Babelsberg niemand zugeben. Deshalb wird gern das Babelsberger Schloss erwähnt. Es ist im englischen Windsorstil erbaut worden. Die Türmchen ragen weit über die Baumkronen des Parks hinaus und künden von der Weltläufigkeit der Erbauer (der preußische Chefarchitekt Karl Friedrich Schinkel und der weniger bekannte Johann Heinrich Strack). Ebenso häufig wird die Nähe zur Glienicker Brücke ins Gespräch gebracht. Sie überspannt die Havel zwischen Tiefem See und Jungfernsee. Die Glienicker Brücke rückt Potsdam ins Zentrum der Welt – zumindest der Welt des Kalten Krieges –, und auf den Babelsberger Park wirft sie ihren leuchtenden Schatten. Der Schatten ist heute in zwei verschiedenen Grüntönen gehalten; die frühere Ostseite ist in hellem, die frühere Westseite der Brücke in dunklem Grün gestrichen. Dort, wo heute nur zwei Farbschattierungen aufeinandertreffen, begegneten sich vor nicht allzu langer Zeit noch zwei verfeindete Systeme und zwar in Form von Agenten, die jeweils aus der falschen Richtung kamen. Der westliche Agent kam von Osten, der östliche Agent von Westen, und um das verkehrte Verhältnis wieder richtigzustellen, wurden sie gegeneinander ausgetauscht. Der Westagent verschwand in Richtung Kapitalismus, der gleich hinter der Brücke mit dem Grunewald begann, der östliche in Richtung Sozialismus, der nicht so schnell begann, sondern von Stacheldrahtzäunen, Mauern und Selbstschussanlagen geschützt war. Aus diesen mörderischen Bauwerken sind heute teure Villenstraßen geworden. Sogar die hässliche Betonbude der Grenzposten, die nach der Wende ein Treffpunkt für Freunde von Easy-Rider-Motorrädern, Drag Bikes und Bobbern war, ist mittlerweile ein schickes Café. Eine solche Verwandlung fand auch in anderen Vierteln statt. Überall dort, wo sich die ranghohe Nomenklatura des Kalten Krieges am stärksten ausgebreitet hatte, wohnen jetzt die Leute mit den teuersten Ansprüchen. Das zeigt, dass sich die Macher der Gesellschaft immer die schönsten Orte aussuchen, aber nicht alle darin zu leben
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