Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
Vom Netzwerk:
Minuten von einer Kultur in eine andere gelangen: Vom golden funkelnden chinesischen Teehaus zum bunten Drachenhaus der Chinoiserie, von einer Orangerie im Stil der italienischen Renaissance zu antikisierenden römischen Bädern und Thermen, von einer dreischiffigen, romanischen Säulenbasilika zu einem Stadttor im Stil englischer Neogotik, von holländischen Backsteinhäusern zum Dampfmaschinenhaus im Stil einer maurischen Moschee und von dort weiter zum Dampfmaschinenhaus im Stil eines normannischen Schlösschens. Die größte Anziehungskraft hat das Schloss in stilistischer Spielart des französischen Rokokos. Fest steht: Jedes dieser Bauwerke spricht für die große Freude, die schon Friedrich Wilhelm I., vor allem aber Friedrich II. und später Wilhelm IV. an Architekturpiraterie hatten. Alle diese Gebäude ahmen den Baustil einer anderen als ihrer eigenen Zeit in einem anderen Weltteil nach. Die Sehnsucht nach Weltläufigkeit hat in Potsdam eben Tradition.
    Als der Soldatenkönig beschloss, sich in Potsdam niederzulassen, ließ er seinem Faible für die Niederlande freien Lauf. Als sein Sohn Friedrich der Große die dürftigen Anlagen des Vaters zu einer verspielten Residenzstadt ausbauen, Sanssouci als Vergnügungsschloss errichten und die kargen Bürgerhäuser mit barocken Fassaden ausstaffieren ließ, war Frankreich gerade groß in Mode, und dass der »Romantiker auf dem Thron« (Wilhelm IV.) für Italien schwärmte, folgte einer allgemeinen Italophilie des deutschen Establishments, die unter anderem Goethe angeheizt hatte und die bis heute anhält.
    Auch die Vorliebe für Historismus hält an. »Da steht der Rohbau und die Architekten fragen: ›Und welcher Stil soll jetzt drauf?‹«, kommentiert eine Freundin die Stilkostümierungen heutiger Zeit. Der Neubau im Stadtzentrum, der an der Stelle des alten Stadtschlosses errichtet wurde, bekam eine Fassade im Stil von Knobelsdorff angeklebt; die Kopie der Kopie. Das hat eine gewisse Logik. Nachdem Chinoiserie, englischer Empirestil und morgenländisches Mosaik irgendwie durch sind, will man – im Rahmen des Alten – etwas ganz Neues machen. Fürs Neue steht immer noch Amerika, weshalb das Stadtschloss aussehen wird wie unzählige amerikanische Universitäten; von außen die Filmkulisse zu einem Historienstreifen, von innen ein Bürogebäude. Hier bietet Potsdam sich übrigens einen Wettlauf mit Berlin; eine Konkurrenz, die ebenfalls Tradition hat, aber das steht im nächsten Kapitel.
Potsdamer Wissen
    Wer nicht in Potsdams Plattenbausatelliten, östlich der Havel, wohnen möchte, musste bereits in den Neunzigerjahren mehr hinblättern als andernorts in Brandenburg. Selbst in Berlin war es leichter, eine Wohnung zu ergattern. Also fuhr ich, als ich mich zum Studium an der Universität Potsdam eingeschrieben hatte, dreimal die Woche von Berlin nach Potsdam. Viele der über siebentausend Studenten der drei Potsdamer Hochschulen machen das noch heute so, weshalb das Nachtleben in der Innenstadt nicht richtig in Schwung kommt. Ich fuhr damals nach Golm. Golm liegt ebenfalls westlich der Havel, ist aber kein Stadtviertel, sondern ein Dorf. Auf der einen Seite der Bahnschienen gibt es eine Handvoll Häuser, die auf eine ursprüngliche slawische Siedlung zurückgehen. Auf der anderen Seite waren die Geisteswissenschaften untergebracht in Gebäuden, in denen sich kurz vorher noch die Stasi eingerichtet hatte. Als ich hier studierte, gab es den Schlagbaum noch, hinter dem die Offiziere in »operativer Psychologie« – dem Manipulieren von Menschen – unterrichtet worden waren. Ursprünglich hatte ich darauf spekuliert, in den Räumen des Neuen Palais zu studieren. Ich wollte in den ehemaligen Schlafzimmern preußischer Adliger meine Vorlesungen hören, in den Zimmern der Kammerdiener Bücher ausleihen und sie auf der Parkwiese lesen. Friedrich der Große hielt dieses barocke Schloss, das am Ende des Siebenjährigen Krieges erbaut wurde, um die Macht des siegreichen Preußen zu symbolisieren, zwar für Angeberei, brachte dort aber seine Gäste unter. Und als Studentin hätte ich lieber in einer barocken Angeberei gelernt als in den Räumen der ehemaligen Hochschule der Staatssicherheit. Aber erst nachdem ich mit dem Studium fertig war, zog die Philosophische Fakultät ins Neue Palais. Golm vergrößerte sich zu einem Wissenschaftspark, der – nach amerikanischem Vorbild mit dem markigen Titel »Life-Sciences-Valley« versehen – heute neben den

Weitere Kostenlose Bücher