Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
aus Watte, wohl dem, der sie versteht.
(Blogger Ben im Eisenhüttenstadt-Blog)
Als Kosmonaut Sigmund Jähn aus seiner Raumkapsel runterguckte, auf der Suche nach Marxwalde im Märkisch-Oderland, wo seine Kumpels vom Jagdfliegergeschwader zu ihm hochguckten, musste er nicht lange suchen. Das Örtchen lag etwas rechts in einem großen Fleck. Aus dem Fleck ragten Kühe, Scheunen und die Türmchen von Feldsteinkirchen heraus. Keine Stadt weit und breit. Und so ist es noch immer: Brandenburg ist eine Überdosis Dorf. Und schlimmer: Es gab eine Zeit, da hielt man hier schon eine Ansammlung von vier Häusern für nicht weniger als eine Gottesgabe, wie das gleichnamige Dorf, bestehend aus vier Häusern, in der Nähe von Neuhardenberg beweist.
Man kann sich vorstellen, wie verzweifelt jene Siedler aus Osteuropa gewesen sein müssen, die von Amerika träumten, aber nur bis ins Märkische kamen. Wenigstens ihre Sehnsucht wollten sie behalten, weshalb sie ihre Siedlung Neu Boston nannten. Der Mitarbeiter eines Zeitungsladens in Potsdam, bekanntermaßen eine Stadt, sagte neulich, er gehe in der Mittagspause seine Schweine und Ziegen füttern. Sein Bauernhof liege nur fünfzehn Minuten entfernt. Sie sehen: Wohin der Blick sich auch wendet, ein Dorf.
Sollte unter den Dörfern doch mal eine Kleinstadt sein, fällt sie nicht auf, weil sie entweder vor Kurzem noch ein Dorf war oder weil das Ländliche weit in die Kleinstadt hineinragt, oder weil es etwas gibt, das Dörfer und Kleinstädte gemeinsam haben: die Platte. In der Kleinstadt fügt sich die Platte harmonisch ins Innenstadtleben. Auf dem Dorf steht sie meistens am Rand. Egal, ob es hübsche Anger- oder hässliche Straßendörfer sind; Sie können einen Test machen. Wie viele brandenburgische Dörfer kommen ohne einen Plattenbau aus? Sie werden überrascht sein, wie lange Sie suchen müssen. Und wenn Sie doch ein Dorf erwischen, in dem am Dorfausgang keine Platte steht, wird es Ihnen vorkommen wie eine Lücke. Keine ausgebrannten Fensterhöhlen im Fertigbeton, kein von Brennnesseln überwucherter Wäscheplatz, noch nicht einmal ein Fünfgeschosser mit getünchter Fassade, der noch in Benutzung ist, wie man an den Männern mit gelbgerauchtem Grauhaar sieht, die im sportlichen Unterhemd und Latschen auf einer Bank davor sitzen. Sollte es das geben, ein Dorf, an dem der Sozialismus spurlos vorüberging? Ich wette, in diesem Fall werden Sie spätestens, wenn Sie aus diesem Dorf wieder herausfahren, doch noch auf Überbleibsel stoßen. Die lang gestreckten Flachbauten der Massentierhaltung der LPG mit ihren bunkerartigen Silos und Melkanlagen finden sich häufig in direkter Nachbarschaft der Dörfer. Diese Kuhkerker stehen entweder leer und verrotten oder wurden zu Gipsfabriken, Biogasanlagen oder Kieslagerstätten umgerüstet. Befinden sie sich in der Uckermark, könnte es sein, dass ein niederländischer oder dänischer Agrarbetrieb sie aufgekauft hat, um darin Rinder- und Schweinezucht zu betreiben.
Eine Großstadt gibt es in Brandenburg nicht. Es gibt ein paar Städte, die es gern wären. Und es gibt ein paar Städte, die im Mittelalter eine Großstadt waren. Man braucht aber nur ein paar ganz grobe Kriterien anzulegen, um zu sehen, wie weit wir Brandenburger von allem Großstädtischen entfernt sind. Wo beispielsweise gibt es rund um die Uhr geöffnete Geschäfte? Exquisite Restaurants? Ein solides Bürgertum, das sich diese Restaurants leisten könnte? – Brandenburg hatte nie die Gelegenheit, flächendeckend ein Bürgertum auszubilden. Es ist ein Bauern-, Tagelöhner- und Handwerkerland. Dann wurde es für eine Weile ein Arbeiterland. Und jetzt ist es häufig ein Hartz IV-Land. – Und weiter: Wo gibt es Straßen, die auch am Sonntag oder zu Weihnachten belebt sind? Eine bunte Mischung verschiedener Kulturen? Nachtleben, das in den Tag hinein lebt, Nachbarn, die sich in der Nachtbar kennenlernen und dann nie wiedersehen. Nachthimmel, den man niemals sieht. Eben all das, weshalb es sich lohnt, mit Millionen anderer Leute auf engstem Raum, im Schmelztiegel, im Moloch, im brodelnden Kessel der Großstadt zusammenzuleben.
Schon an so anspruchslosen Kriterien scheitern selbst die Landeshauptstädter. Erst neulich stand ich wieder ratlos vor dem Italiener in meinem Viertel. Es war sieben Uhr abends, und er hatte geschlossen. Dann fiel mir ein, dass Montag war. Ruhetag. In welcher Großstadt hat ein italienisches Restaurant abends um sieben Ruhetag? Dort dürften sie
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