Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Wäscheplätzen hingen.
Wer hier lebte, wurde entweder besonders pingelig oder besonders gleichgültig. Die Leute entwickelten in jedem Fall ein praktisches Verhältnis zur Schönheit. Es lohnt sich nicht, die edlen Pumps zu tragen, die feine weiße Bluse, wenn man doch nur durch Kohlendreck latscht. Feine weiße Blusen blieben im Schrank. Ebenso praktisch ging man mit der Einrichtung der Städte um: Sie strotzten vor Kargheit. Gab es doch ein Büschel Stiefmütterchen vor dem Rathaus, waren die Blumen so aschfahl wie die luftleeren Reifen, die als Blumentöpfe dienten. Und niemand putzte die Blütenblätter.
Unterhalb dieser Kargheit brodelt es. Da ist was los. Ich meine damit nicht nur, dass man in den vergangenen zwanzig Jahren den Schmutz aus der Luft gewischt und die Städte geputzt hat. Das Senftenberger Schloss oder das grandiose Jugendstiltheater in Cottbus tauchten verheißungsvoll aus dem schwarzen Nebel auf; ein Schock für die Leute. Die hatten ganz vergessen, in welch glanzvoller Nachbarschaft sie lebten, und bemühten sich von nun an, wieder liebevoll von ihren Städten zu reden. Auch die Sympathien für Sachsen wurden wieder offenkundig, seit vom Bismarckturm in Spremberg die Bautzener Berge so schön im blauen Dunst heiterer Sommer zu sehen sind. Und »die Sänger von Finsterwalde« singen besser, seit die Bronchien leiser rasseln.
Ich meine mehr als die Verfreundlichung der Innenstädte mit Cafés und Museen. Das Cottbuser Kunstmuseum im ehemaligen Dieselkraftwerk richtet den Blick auf die ostdeutsche Kunst (die Dieselkraftwerke abbildet). Das Textilmuseum in der ehemaligen Tuchfabrik in Forst erklärt das Tuchmacherhandwerk in einer Tuchfabrik, duftend umflort von den Rosen des Rosengartens. Und ohne Lauchhammer gäbe es die Großplastik nicht. Laut dem Kunstgussmuseum im ehemaligen Lauchhammerwerk wurde das Gießen von Helden, Rittern und Königen, von Göttinnen und – selten – Herrscherinnen in Eisen und Bronze in Lauchhammer erfunden. Freifrau von Löwendal hatte im frühen 18. Jahrhundert in dieser Stadt am Sumpf (Lauch = Sumpf ) ein Eisenhammerwerk eröffnet.
Was ich meine, ist eine Verrücktheit. Untergründig, aber spürbar regen sich Lebenslust und Risikofreude. Die Niederlausitzer sind ein bisschen durchgeknallt. Sie haben die Hässlichkeiten, die man nicht mehr sehen will, einfach unter Wasser gesetzt. Schwamm drüber, sagen sie und lassen ihre Landschaft volllaufen. Im Oderbruch sind die Leute froh, wenn der Hochwasserspiegel sinkt, in der Niederlausitz dagegen werden bis 2018 siebentausend Hektar Land in Seen verwandelt. Das ehemalige Dreckloch wird zum Erholungsgebiet mit Wasserflugplätzen und Stränden.
Die Niederlausitzer sind so stolz auf ihre künstliche Wasserlandschaft, dass sie es sogar mit den Mecklenburgern aufnehmen wollen. Die Fischköppe seien nicht mehr die einzigen Ossis mit Meer, schallt der Ruf protzig in den Norden. Man habe jetzt auch eines: die »Cottbuser Ostsee«. Die Leute sind so glücklich über ihr Wasser, dass sie schon mal ihre Liegestühle hinterm Stacheldrahtzaun aufbauen, an dem noch das Schild »Betreten Verboten! Lebensgefahr!« hängt, und den Blick verzaubert auf den staubig schwarzen Horizont richten. Sie sind so glücklich, dass sie sich die besten Plätze fürs Zelt reservieren, auch wenn der Wasserspiegel noch dem einer großen Pfütze ähnelt. »Ist gerade Ebbe«, so der O-Ton der Optimisten. Nur manchmal, nachts, keimt leise die Befürchtung auf, am nächsten Morgen das Haus nicht mehr verlassen zu können. Denn vielleicht hat der Gehweg über Nacht eine hohe Welle geschlagen. Manchmal sacken Straßen auch plötzlich ab oder schieben sich zu Hügeln zusammen. Und wenn es ganz schlecht läuft, sorgt der steigende Grundwasserspiegel dafür, dass ein Marktplatz von einem Wellenkuchen nicht mehr zu unterscheiden ist.
Die Verrücktheit hat zwei Ursachen. Zum einen sind die Niederlausitzer Nachfahren von Raubrittern. Senftenberg oder Finsterwalde waren Raubritterneste, bevor sie ehrbar wurden und als Markgrafschaft Niederlausitz erst zum Königreich Böhmen gehörten und ab 1635 zum Kurfürstentum Sachsen. Der sächsische Kurfürst hatte die Niederlausitz als Lehen vom deutschen Kaiser erhalten. Hier liegt der zweite Grund für das entspanntere Leben im südlichen Brandenburg: Man steckte nicht so lange im Korsett der preußischen Ordnung. Die Niederlausitz wurde erst 1815, nach der Niederlage Napoleons, auf dem Wiener Kongress Preußen
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