Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
Vom Netzwerk:
der Friseur »Hair-lich« wartet auf Kundschaft. Etwas abseits am Uferweg des Stadtsees kreist eine Spielzeugeisenbahn um Gladiolenbüsche. Ein Privatgarten wurde zur elektrischen Eisenbahnlandschaft umgerüstet. Am Gartentor steht ein Signalkreuz in Originalgröße und blinkt. Es blinkt hinein in den Sonnenuntergang über dem See, die Mücken tanzen. Ein handgeschriebenes Schild fordert Vorübergehende auf, per Knopfdruck die selbst gebauten Eisenbahnen zu betätigen. Dann rattert eine gelbe Bergbahn den Steingarten hinauf und hinunter. Ein Personenzug umrundet die Gladiolen.
    Sonst geschieht nichts.
    In Lenzen strahlt die Burg frisch aufgehellt vom Berg. Sie stellt die Fachwerkhäuser im Ort in einen blendenden Schatten. In diesem Randstädtchen an der Elbe, im letzten westlichen Zipfel Brandenburgs, ist die Innenstadt großenteils noch so erhalten, wie sie zum Mauerfall aussah: Sie wirkt wie die Kulisse für einen schwarz-weißen Nachkriegsfilm. Hier zeigt sich, dass das Alte mehr von Armut, Vernachlässigung und einem gnadenlosen Herunterwirtschaften erzählt als vom Mittelalter. Man muss schon sehr weit weg leben, um darin romantisierend Authentisches zu entdecken. An der Straßenkreuzung weist ein neues grünes Hinweisschild zum »Café am Markt«. Dieses Café entstammt einer Zeit, in der grüne Schilder, die Touristenströme sortieren, noch nicht gebraucht wurden. Es verbreitet noch die gute alte Speisegaststätten-Atmo; gelbgerauchte Gardinen, braunes Interieur und Tapeten mit großen Blumenmustern. Zwei Männer im weißen Rippenhemd hängen aus den oberen Fenstern. Sie beobachten die Auslagen vor dem vietnamesischen Laden »Viet Hung«. Nur dort bewegt sich etwas: Ein Windrad aus Papier dreht sich im Kreis. Es steckt in einem Ständer neben Backförmchen und asiatischen Suppen. Der Wind greift unter die blauen Papierbögen und lässt sie wie eine Scheibe aussehen. Dreht sich das Windrad schneller, hört man es bis hinauf zu den Fenstern knattern.
Kleinstädte
    Für diese Art der kleinen Stadt wäre die Bezeichnung Städtchen irreführend. Sie ist zu schön. Eine Stadt wie Ludwigsfelde beispielsweise, die von einer Autobahn in zwei Teile geschnitten wird, ist nicht schön. Eine Stadt wie Zossen, deren Antlitz von einem Güterbahnhof bestimmt wird, ist nicht so schön. Rathenow hätte vielleicht schön sein können, wenn im Zweiten Weltkrieg nicht zuerst amerikanische Kampfbomber einen Teil der Stadt in die Luft gejagt und die Sowjets später nicht den Rest zerschossen hätten, kurz: wenn es den Krieg nicht gegeben hätte. Dann wäre Rathenow vielleicht noch immer einer der größten Optikstandorte der Welt. So belieferten nach dem Krieg die VEB Rathenower Optischen Werke nur den Ostblock mit Brillen, und die Brillenfirma Fielmann kann heute bloß noch einen kleinen Teil der Bevölkerung beschäftigen. An alten Wänden aus Ziegeln, wie sie in den Ziegeleien um Rathenow einst für Schloss Sanssouci und das Rote Rathaus in Berlin hergestellt wurden, leuchten Graffiti.
    In Luckenwalde wurde der Pappteller erfunden. Das ist zwar ein nützlicher Gegenstand, aber nicht unbedingt ein Aushängeschild für die Schönheit einer Stadt, weshalb Luckenwalde froh ist, dass es in direkter Nachbarschaft ein wildromantisches Zisterzienserkloster gibt (Kloster Zinna). Das Attribut »Stadt der Schornsteine«, das Luckenwalde lange mit Stolz trug, kommt in Zeiten des Klimawandels nicht mehr so gut. Die Schornsteine werden auch nicht mehr gebraucht, seit die Produktion von Baustoffen, Hüten und Möbeln eingestellt ist.
    Königs Wusterhausen ist stolz darauf, die Stadt zu sein, die mit dem Sender KW seit 1920 eine der ersten Sendeeinrichtungen in Deutschland besaß und gemeinsam mit Nauen zur Wiege des deutschen Rundfunks gehört. Das ist schon eine Weile her.
    Auch Herzberg an der Elster hatte einst einen selbst strahlenden Sendemast. Mit dreihundertfünfundzwanzig Metern war er das zweithöchste Bauwerk der Welt, bis die Rote Armee ihn nach dem Krieg als Reparaturleistung abmontierte und in die sowjetische Heimat verschickte. Bis heute weiß niemand, wo er wieder aufgebaut wurde. Das Herzberger Gymnasium trägt den Namen Philipp Melanchthon, der in Herzberg eine der ersten Schulordnungen erlassen hatte. Mitte des 16. Jahrhunderts war diese Schulordnung wegweisend.
    Velten ist die »Stadt der Öfen«. Von den etwa vierzig Ofenfabriken, die es zur letzten Jahrhundertwende in Velten aufgrund der vielen Tonvorkommen gab, ist nur

Weitere Kostenlose Bücher