Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Seiten der Neiße. Im Potsdamer Abkommen 1945 wurde Guben aufgeteilt; die Stadt östlich der Neiße heißt heute Gubin. Zwischen der polnischen und der deutschen Seite liegt eine Insel, auf der früher das Theater und heute zwei Fußgängerbrücken die Menschen jenseits und diesseits des Flusses verbinden. Was einmal die berühmte Oder-Neiße-Friedensgrenze war, ist ein beliebtes Gebiet für Wildwasserfahrer geworden. Kajaks schießen durch die Fluten. Die westliche Neiße-Stadt sollte mit ihrem Namen ebenfalls einmal einem kommunistischen Politiker ein Denkmal setzen. Man lag nicht ganz so daneben wie der nördliche Nachbar »Hütte«: Aus Guben wurde die Wilhelm-Pieck-Stadt Guben. Pieck war der erste und einzige Staatspräsident der DDR (danach hießen sie Staatsratsvorsitzende) und gebürtiger Gubener. Seit das VEB Chemiefaserwerk der Wilhelm-Pieck-Stadt 1990 dichtmachte und auch hier Plattenbauten abgerissen wurden, tauchte in der mittlerweile wieder ohne Beinamen existierenden Stadt Guben ein neuer Name auf: Der Plastinator Gunther von Hagens zog als wichtiger Investor in die leer stehenden Hallen der ehemaligen Tuchfabrik ein. Zukünftig heißt es vielleicht: Guntherstadt Guben. Die Plastination, ein Konservierungsverfahren, bei dem Zellflüssigkeit durch Kunststoff ersetzt wird, sorgte jedenfalls für Aufsehen. Von Hagens macht aus toten menschlichen Körpern lebendig wirkende Kunstprodukte, die er in seiner Ausstellung »Körperwelten« um den Globus schickt. In Gubens »Anatomischem Kompetenzzentrum« wird das heikle Verfahren näher beleuchtet.
Denken Sie nicht, es wäre nur darum gegangen, einen Investor an Land zu ziehen. Das würde eine wesentliche Eigenart dieses Landstriches außer Acht lassen: In eine Gegend, die sich seit Jahrzehnten mit den Überbleibseln einer verendeten Gesellschaftsform herumschlägt, ausgerechnet den Plastinator von Leichen zu holen, das ist große Komik. Grubenschwarzer Galgenhumor! Wer die Hälfte seines Lebens an einem mit Fabriken zugeknallten Ufer leben musste (heute die »Neiße-Terrassen«, eine offene Park-Fluss-Landschaft mit freiem Blick über die Neiße nach Gubin), der hat aus reiner Notwehr Schlagfertigkeit und Hintersinn entwickelt. Calau lässt grüßen. Und aus Calau kommt der weltberühmte Nichtwitz. Der Kalauer. Es gibt Missgünstige, die die Entstehung dieses Flach- oder Plattwitzes lieber den Franzosen zuschreiben wollen und behaupten, er leite sich vom französischen Wort »calembour« (deutsch: Wortspiel) ab. Aber das sind Sachsen, und die Sachsen leiten alles von den Franzosen ab und können außerdem die Preußen nicht leiden. Ich bin schon deshalb vollkommen überzeugt vom Calauer Ursprung, weil die Polizei in Calau einmal im Jahr Kalauer verteilt: Falschparker bekommen ein Knöllchen, auf dem gekalauert wird. Hätten die Calauer diese geistreiche Gattung des Unwitzes nicht erfunden, wäre auch der Komiker Heinz Erhardt niemals auf die Idee gekommen, eines meiner liebsten Kalauergedichte zu schreiben, in dem es – wie häufig auch in Brandenburg – um die Umgestaltung von Landschaft geht:
Würden sämtliche Berge der ganzen Welt
zusammengetragen und übereinandergestellt,
und stürzte dann unter Donnern und Blitzen
der Berg in dieses Meer … Das würd’ spritzen!
Tagebaustädte
Die Städte in der Niederlausitz haben Glück, weil sie noch da sind. Sie stehen zwar ein bisschen einsam in der Gegend herum, seit das dörfliche Umland verschwand, verschlungen von den Tagebauen, aber immerhin: sie stehen. Senftenberg, Spremberg, Finsterwalde, Lauchhammer, Forst und Cottbus wurden nicht abgebaggert. Sie sind sogar noch gewachsen. Sie mussten die Flüchtlinge aufnehmen, die obdachlos aus den eingestampften Dörfern kamen. Ein Grund mehr, die Plattenbauweise zu loben: Sie sorgte am schnellsten für ein Dach überm Kopf. Eilig hochgezogene Neubaughettos umlagern in mehreren Ringen die alten Kerne dieser Städte. Tausende Menschen wurden zugunsten der Kohleförderung in den letzten Jahrzehnten umgesiedelt. Aus ihren Einfamilienhäuschen und Bauerngehöften zogen sie in fernbeheizte Dreiraumfertigwohnungen. Der Kohlenstaub war das Einzige, was für die Neuankömmlinge von der einstigen Heimat übrig blieb. Wenn der Wind ungünstig stand, wehte er von den nahen Brikettfabriken herüber. Und der Wind stand immer ungünstig. In kleinen schwarzen Fettpünktchen setzte sich der schwarze Staub auf die frischen weißen Laken, die zum Trocknen auf den
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