Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
mit Paddelbooten oder Segeljachten bis vor die eigene Haustür. Von den Dachterrassen haben sie einen weiten Blick übers Wasser und auf die Dominsel. In der Einkaufsstraße gibt es einen Eisladen, der den Titel »Bestes Eis Brandenburgs« verdiente, gebe es nicht einen noch besseren in Potsdam. Loriot wurde hier geboren und in der ältesten Pfarrkirche des Landes, St. Gotthardt, getauft. Und wenn man von der Jahrtausendbrücke hinabsieht, spiegeln sich die Farben der Häuser und die Köpfe der Menschen vielfach im Wasser wider. In den Türmen der Brücke gibt es zwei Cafés, die einen kosmopolitischen Charme verströmen.
So jedenfalls hörte ich es von einer Kalifornierin. Kosmopolitisch, sagte sie und setzte sich mit ihrem Cappuccino ans Salzhofufer. Hier könne sie sich vorstellen zu bleiben. Die Stadt habe Flair. Die Kalifornierin gehörte zu denen, die sich von den medialen Horrorszenarien über das Brandenburgische nicht hatten abschrecken lassen. Sie wollte es sich begucken. Die Liste der Ehrenbürgerschaft der Stadt schlafe allerdings noch tief den Schlaf der Konservativen, befand sie später. Birgit Fischer allein auf weiter Flur zwischen neunundzwanzig Männern? Als Frau müsse man erst zur weltbesten Kanutin aller Zeiten werden, um auf diese Liste zu kommen, während die männlichen Geehrten nur ein Kaufhaus besitzen oder ein guter Lehrer gewesen sein müssten? Das gehöre schleunigst kosmopolitisch aufgefrischt, so die charmante Touristin, bevor sie eine Motorjacht bestieg und in die Auwälder und Röhrichte der Unteren Havelniederung hinein entschwand.
Als nach der Jahrtausendwende mit der neuen Oberbürgermeisterin frischer Wind in die Stadt kam, hatten die Stahlwerker aus ihren überalterten Siemens-Martin-Öfen längst ein Industriemuseum mit Seltenheitswert gemacht. Und mit dem »Inspektorenhaus« hatte eines der wenigen Lokale der Region eröffnet, die dafür sorgen, dass Gäste, denen die flächendeckend verabreichten Fertigsoßen und aufgetauten Tiefkühlspeisen weniger zusagen, nicht verhungern.
Eisenhüttenstadt möchte auch Glück haben. Man habe »viele Eisen im Feuer« lautet die noch etwas vage Formulierung der Stadt der Hochöfen. Mit dem Glück ist es nicht so einfach. Bei ihrer Gründung in den Fünfzigerjahren gab sich die Stadt zunächst den Namen eines Massenmörders und Diktators. Acht Jahre später, als die Politik sich geändert hatte, wollte man nicht mehr Stalinstadt heißen. So kam es, dass die Menschen abends in Stalinstadt schlafen gingen und morgens in Eisenhüttenstadt aufwachten; über Nacht waren heimlich alle Schilder ausgetauscht worden. »Hütte«, wie die Stadt von ihren Einwohnern liebevoll tituliert wird, wurde außerdem auf dem Reißbrett als sozialistische Wohnstadt entworfen. Das machte sie zwar funktionell, aber nicht schön. Darin ist sie anderen Planstädten der jüngeren Vergangenheit in Russland, Schweden oder den USA nicht unähnlich, weshalb denjenigen unter den Lesern, die schon immer Nowosibirsk anschauen, aber nicht so weit reisen wollten, auch Eisenhüttenstadt im Winter empfohlen werden kann. Östlich der Bahntrasse sind aus den ehemaligen Planstadtquartieren Brachen geworden. Die Plattenbauten wurden abgerissen. Struppiges Gras breitet sich aus. Nur die Laternen stehen noch, ein paar Treppen und rostige Geländer. An den Laternenmasten hängen Fahnenhalterungen, als sei erst gestern noch mit Hammer und Sichel geflaggt worden, und das Licht geht abends an. Was es beleuchtet, bleibt unsichtbar.
Ortsfremde wie die Asylbewerber in der Erstaufnahmestelle der Zentralen Ausländerbehörde Brandenburgs stellen fest, dass ihre Handys sich in polnische Telefonnetze einwählen, dass es viele Beerdigungsinstitute und Altenheime und wenig Eckkneipen und Spielplätze in der Stadt gibt. In der genehmigten Höchstaufenthaltsdauer von drei Monaten haben sie allerdings kaum Zeit, sich darüber zu wundern. Sie sind damit beschäftigt, im abweisenden Weiß der Behörde, die zu ihrem Schutz mit einem hohen Zaun umgeben ist, nicht die Hoffnung zu verlieren. Wenn sie das Gefühl der Vergeblichkeit packt oder eine Endzeitstimmung, wie sie auf der anderen Seite des Zauns zum diffusen Stimmungsbild gehört, wird das andere Ursachen haben als bei den Eisenhüttenstädtern, die manchmal noch von einem Gegenwartsmangel befallen sind.
Guben ist die östlichste der Oststädte. Sie grenzt wie Schwedt, Eisenhüttenstadt und Forst an Polen. Ursprünglich lag die Stadt auf beiden
Weitere Kostenlose Bücher