Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
gesamtdeutschen Kulturaustauschs mit Osteuropa ab.
Städtchen
Würde Finsterwalde nicht im Braunkohlegebiet liegen, gehörte es in dieses Kapitel. Finsterwalde ist ein typisches Städtchen. Jahrhundertalte Häuser, im Sozialismus heruntergewirtschaftet, wurden nach der Wende mit großem finanziellen und medialen Aufwand saniert. Stuck und Schmuck an Fassaden und Skulpturen vor Portalen wurden ausgemottet, neu gegipst, abgestrahlt, wodurch der Beruf des Restaurateurs ungeheuer populär wurde. Bei einem Spaziergang durch Beeskow, Gransee, Belzig, Dahme, Kyritz, Wittstock, Luckau, Lübbenau oder Angermünde erscheinen die Gebäude des Mittelalters und der frühen Neuzeit so, als wären sie gerade erst erbaut worden. Vom alten Gemäuer ist wenig zu sehen, dafür erhält man einen guten Einblick in die neuesten Methoden und Forschungserkenntnisse der Restaurationskunst. Die historischen Innenstädte werden überstrahlt von einer Burg oder einem Schloss, die von brandenburgischen Markgrafen oder Landadligen bewohnt waren. Sie sind im Besitz einer Kirche, einer Postsäule oder eines Stücks Stadtmauer. Wittstock beispielsweise hat die längste erhaltene Stadtmauer Deutschlands. Mit einer Länge von zweieinhalb Kilometern umrundet sie die gesamte Innenstadt. Der kopfsteingepflasterte Marktplatz wird von barocken Bürgerhäusern gesäumt, von kleineren Ackerbürgerhäusern und von Fachwerkhäusern, in denen Handwerker wohnten; Zeugnisse vom Gedeihen der Mark und dem Wohlergehen des Kleinbürgertums unter Joachim II. im 16. Jahrhundert. Manchmal gibt es auf diesen Marktplätzen auch ein Café, in dem der Cappuccino nicht im Druckknopf-WMF-Turboverfahren gewonnen wird, sondern aus der echten Espressomaschine mit Siebträger fließt.
Die eigentliche Sehenswürdigkeit dieser Städtchen ist etwas anderes. Die eigentliche Sehenswürdigkeit ist das, was ein Gedenkstein in Kyritz mit folgenden Worten umreißt: »Dieser Stein erinnert an den 14.02.1842. Hier geschah um 10.57 Uhr NICHTS.«
Die Innenstädte zeichnet eine große Stille aus. Es sei denn, es ist Herrentag, Pfingsten oder Hochsommer, wo sie von Stille suchenden Touristen überschwemmt werden. Draußen vor den Stadttoren stehen ein paar Platten auf dem Acker. Tankstellen und Lidl-Märkte haben sich zu den ubiquitären Platten gesellt. Manche sind ausgebrannt, bieten aber immer noch den besten Blick übers Land. Vor dem Polizeigebäude in Angermünde pflückt an einem Wochentag ein Angestellter der Stadt im Blaumann sorgsam Papierreste aus den Ritzen des Gehwegs. Niemand stört ihn. Die Ladenbesitzer haben ihre Türen weit aufgerissen, um die Kundin nicht zu verpassen, die sich auf den Weg in ihr Nagelstudio, ihr Mode&Mehr-Geschäft oder in ihren Schuhladen machen könnte, in dem auffällig viele Gesundheitssandalen mit bequemem Fußpolster in den Farben weiß und beige angeboten werden. Im Café am Münde-See sitzen zwei Verliebte. Wer vor dem »Wallenstein« auf dem Marktplatz sitzt, ist von außen nicht erkennbar; die Bestuhlung auf dem Platz vor dem rosa Fachwerkhaus ist von einem dichten Gerank exotischer Bäume umschlossen. Michael Kohlhase kaufte 1530 auf dem Angermünder Vieh- & Pferdemarkt Rappen und Schimmel, bevor er bei Heinrich von Kleist unter dem Namen Kohlhaas zum literarischen Antihelden wurde. Der Hauptmann von Köpenick saß in dieser Stadt im Knast, und Ehm Welk ließ seine Heiden von Kummerow in Angermünde eine Weltstadt sehen, die sich selbst heute das »Tor zur Uckermark« nennt.
Den Titel »Perle der Uckermark« beansprucht Templin. Während Angermünde in der Nähe der Oder liegt, umgeben von Getreidefeldern voller Kornblumen und Mohn, hinter weich geschwungenen Auen und vereinzelten Baumgruppen auf weiten Wiesen, ist Templin, fünfzig Kilometer weiter westlich, vom Buchen- und Kiefernwald der Schorfheide umschlossen. Zwischen fünf Seen liegt diese Siedlung aus dem Mittelalter, in der dienstags und freitags ein Bauernmarkt stattfindet. Vor dem barocken Rathaus haben Vietnamesen ihre Stände aufgebaut. Sie bieten Tücher und Handtücher und strapazierfähige Blusen an. Unter den Zeltdächern nebenan werden fleischfarbene Miederhosen verkauft. BHs in den Größen C und D schwingen im Wind. In den Nebenstraßen – aufgerüstete Fachwerkhäuser – bewirbt ein Regioladen den Uckerkaas, Käse aus der Uckermark mit Bärlauch oder Kümmel, und das berühmte Basilikum-Erdbeer-Sorbeteis desselben Herstellers, alles Bio. Der Laden ist leer. Auch
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