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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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zugeschlagen. Man hatte ein Jahrhundert länger Zeit, um – aus Sicht der Preußen – unlogisch, ungebunden und verschwenderisch zu leben. Erst in jüngster Zeit hat sich das Preußische auch in die Sprache gedrängt. Offiziell stehen die Liegestühle der Badewilligen in einer »Bergbaufolgelandschaft«.
    Die Tagebaustädte sind reich. Das ist unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation, unabhängig von den Streits um die Braunkohleverstromung, die mit dem Abschalten von Kernkraftwerken noch einmal einen Aufschwung erlebt. Sie sind reich, weil jede dieser Städte nicht nur einen, sondern zwei Namen hat. Nehmen wir Senftenberg im Zentrum der künstlichen Seenplatte. Zunächst scheint die Namensgebung eindeutig: Eine Stadt mit Berg, in der es würzig nach Senf riecht. Falsch. Auch wenn die Anwohner gern von ihrem »Mostrichhügel« reden, wurde in Senftenberg nie Senf hergestellt. Bevor die Stadt das Schicksal des Bergbaus ereilte, war sie eine Winzerstadt mit Weinbergen und einer Sektkellerei. Ab dem 12. Jahrhundert wurden auf den südlich besonnten Hügeln Reben und Obst angebaut, Schafe grasten unter den Apfelbäumen. Auch Gerber gab es hier, die die Schafshaut weiterverarbeiteten, weshalb es in den ärmeren Stadtvierteln nicht würzig roch, sondern wohl bestialisch stank. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, den Namen Senftenberg zu deuten. Die einen glauben, die Stadt heiße so, weil sie »sanft am Berg« liege, die anderen, weil es eine »Sumpftenburg« gewesen sei. Wer beidem nicht traut, kann auch »Zły Komorow« sagen. Das ist sorbisch und folgt der klaren Logik, dass eine Stadt am Fuße einer Burg in den Sümpfen häufig von Mücken heimgesucht wird. Die Mücken an diesem »Schlimmen Mückenort« konnte der Kohlenstaub leider auch nicht vertreiben.
    Cottbus heißt auf sorbisch Chóśebuz. Im Verlauf der Geschichte hatte das heutige Zentrum der Niederlausitz noch unzählige andere Namen, die sich zur Freude der Einwohner besonders im Fall von Chotibuz oder Kukubuzl nicht lange gehalten haben. Der sorbische Name der Stadt Forst klingt nach der berühmten polnischen Rote-Beete-Suppe. Ob diese Suppe in Forst besonders gern gegessen und die Stadt deshalb Baršć genannt wurde, ist mir allerdings nicht bekannt.
    Mit beiden Namen, dem sorbischen und dem deutschen, sind die Städte auf Ortseingangsschildern, auf Verkehrsschildern und im GPS vertreten. Das ist einer der letzten Hinweise auf die sechzigtausend Sorben, die in dieser Gegend leben. Die Sorben stammen von den ursprünglichen Einwohnern, den Lusitzi, ab, die auch Westslawen oder Wenden heißen, eine Namensvielfalt, die bis heute Anlass bietet, sich immer mal wieder bis aufs Blut darüber zu streiten, wie die korrekte Bezeichnung lautet. Dass Lusitzi etwas mit der Lausitz zu tun hat, erkennt auch der sanftmütige Mensch am ähnlichen Klang. Im Allgemeinen ist der Klang des Sorbischen nur noch selten zu hören. Es gibt keine zusammenhängende Siedlung der Sorben mehr, und die beste Chance, eine Tracht im Original zu sehen, hat man im Freilandmuseum Lehde bei Lübbenau. Nur die traditionellen Volksfeste wie das Hahnrupfen (Reiter treten gegeneinander im Wettstreit darum an, wer zuerst einem hängenden, toten Hahn den Kopf abreißt) oder Zampern/Zapust (Halloween trifft auf Fasching) werden mittlerweile auf den Dörfern wieder öfter gefeiert und nicht ausschließlich wegen der Touristen.
    Die Tagebaustädte, südöstlich in Brandenburg, sind die Vorhut der deutsch-polnischen Beziehungen, die sich im Alltag früher oft auf Zigarettenschmuggel und den Billigeinkauf von Osteuropäerinnen reduzierte. Heute sind sie von gegenseitigen Hilfsaktionen nach einer Naturkatastrophe gekennzeichnet, und auch Proteste gegen die Schließung der wenigen Frauenhäuser im katholischen Polen werden von Aktivisten beider Länder zusammen durchgeführt. In der Kunst sind gemeinsame Aktionen besonders beliebt. Sie werden institutionell gefördert oder ergeben sich ganz zwanglos dadurch, dass der eine auf dem Trödelmarkt des anderen nach dem passenden Pinsel sucht. Mit dem FilmFestival des osteuropäischen Films findet im November in Cottbus der wohl größte Künstleraustausch statt. Seit über zwanzig Jahren werden in der Niederlausitzer Hauptstadt herausragende mittel- und osteuropäische Produktionen gezeigt. Cottbus ist damit nicht nur der einzige Ort in Westeuropa, an dem viele dieser Filme überhaupt zu sehen sind, sondern deckt auch einen Großteil des

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