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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Motorboote verboten sind, dem Gudelacksee bei Lindow oder dem Großen Baalsee bei Wittstock sind die Chancen größer, ein Plätzchen für sich allein zu finden. Wirklich unberührt sind heute nur noch Tümpel und Teufelsseen; sie liegen verwunschen am Fuße von Hügeln, in Niederungen, am Ende von Bächen und kleinen Flussläufen, eine dunkle Kuhle mit unbewegter Wasseroberfläche, die von Seerosen und Entengrütze bedeckt ist. Schwimmen geht hier niemand.
    Für dieses Buch wollte ich es darauf ankommen lassen. Ich schloss eine Wette ab: An einem Wochentag im Sommer würde ich eine schöne Badestelle für mich allein finden. Das schloss mehrere Gebiete von vornherein aus. In der Nähe von Potsdam oder am Lychensee, am Seddiner oder dem Senftenberger See sind die Ufer dauerbesetzt. Aber ich hatte mir auf der Karte ein entlegenes Gebiet gesucht. Nordwestliche Grenze. Hinter Fürstenberg. Dort, wo die Straßen nur noch zarte graue Striche sind. Einer dieser Striche führte am Taterberg vorbei zum südlichen Ufer des Ellbogensees. Auf der Fahrt erwies er sich als vielversprechend: Staub flog aus Löchern auf, die Eis und Regen vergangener Jahre gerissen hatten, Panzerplatten überbrückten den zu Dünen geschobenen Zuckersand. Schmal wand sich die Straße durch einen Buchenwald und Wiesen. Sie führte an einem der vielen »Naturzeltplätze« vorbei. Die Zelte standen nicht auf der Wiese hinter einem Bauernhaus (ein ländlicher Zeltplatz), sondern waren von drei Kiefern umstanden (der Natur). Im Rezeptionshäuschen lief laute Countrymusik. In den Fenstern der Wohnwagen (mit Strom- und Wasseranschluss) blühten lila Veilchen, auf den Dächern Satellitenschüsseln.
    Der Platz erinnerte mich an den scheinbar entlegenen Wasserwanderzeltplatz, den ich einmal hoffnungsfroh mit einem Kanu angesteuert hatte. Ich hatte mein Zelt auf dem weichen Waldboden aufgeschlagen, Kiefernnadelduft hatte sich mit dem Geruch von Lagerfeuer vermischt, und als ich hinaus in die Seemitte geschwommen war, das Wasser glatt und kühl, waren ein paar Blessrallen hastig aus dem Schilf gestoben. Am gegenüberliegenden Ufer flammten die Spitzen der Kiefern rot auf. Ich war allein auf dem See, allein in der schwimmenden Farbe des Abendhimmels, in der großen Ruhe, die zu Sonnenuntergang über dem Wasser liegt, bis ich den Fehler machte, zurück zum Ufer zu sehen. Dort hatten die Zeltplatzbetreiber begonnen, neben der Feuerstelle Boxen für eine zweiköpfige Schlagerband aufzubauen. Die Beschallung des Schilfrohrs durch die blonde Gabi und den E-Gitarre-Thomas dauerte bis Mitternacht und musste bis Mecklenburg zu hören gewesen sein. Auch bei diesem Zeltplatz war das Wort »Natur« irgendwo im Namen untergebracht gewesen.
    Diesmal schien es gut zu gehen. Ich ließ den »Naturzeltplatz« hinter mir und verschwand tiefer zwischen den Buchen. Am Ellbogensee fand ich eine sandige Bucht. Kein Mensch in Sicht. Ich parkte mein Gefährt, schälte mich aus der Motorradkluft und ließ mich im Sand nieder. Ein Holzsteg ragte hinaus ins reglose blassblaue Wasser. Nachmittagsträgheit. Die schwere Dunstigkeit heißer Tage, durchzogen von einer dem feuchten Boden entsteigenden Kühle. »Nur Fliegen und die Stille des Sees, der träge an Land plätschert«, tippte ich triumphierend ins Handy, als eine Autokarawane die holprige Straße entlangkam. Den Autos entstieg eine Geburtstagsgesellschaft mit Campingstühlen und Picknickkörben, die die Stillesuchende, die sich da soeben noch allein in Feld und Flur geglaubt hatte, bespöttelte und zum Glas Sekt einlud, bevor diese sich durch die schiere Überzahl schließlich zum Aufbruch getrieben sah.
Da lässt sich was rausholen!
    Seeufer sind nicht nur von Leuten begehrt, die schwimmen oder picknicken wollen. Sie sind auch von Leuten begehrt, die wenig für Natur, dafür aber viel für ihre Altersvorsorge übrig haben. Sie betrachten das Grundstück am Ufer als Wertanlage. Kurz nach der Wende brachen für diese Grundstücksjäger goldene Zeiten an. Die Brandenburger hatten auf die Öffnung der Mauer ganz unbrandenburgisch reagiert. Sie vergaßen kurzzeitig ihre Skepsis gegenüber der Welt und brachen in selbige hinein auf, weshalb niemand an den heimischen Seen zurückblieb, um aufzupassen, was mit den sogenannten Filetstücken am Ufer passierte. Und siehe da: Alles, was noch nicht mit Bungalows aus Pressspanplatte zugestellt war, wurde so geschwind von schwäbischen Schnäppchenjägern, rheinländischen Ingenieuren, Hamburger

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