Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
und mit auf und ab wippenden bunten Hosen und Hüten bestückt sind (Menschen bei der Selbsternte). Bis in die blaudunstige Ferne ziehen sich die Baumplantagen, unterbrochen nur von Schilf- und Seerosenarrangements des riesigen Feuchtgebietes der Unteren Havelniederung. Die Heimat von Effi Briest, Theodor Fontanes wichtigster Romanheldin, und des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, Fontanes viel zitiertem Gutmenschen aus der gleichnamigen Ballade, der den Kindern Birnen schenkt, ist auch der Garten Eden Brandenburgs. Ob verboten oder nicht, das Havelland hängt voller Obst, manchmal gleich am Straßenrand. Im Fall der begehrten Süßkirsche werden Straßenrand-Bäume zu Orten der Begegnung. Menschen, die sich im normalen Leben nicht kennenlernen würden, sitzen gemeinsam auf demselben Ast. Man parkt das Auto im Straßengraben, stellt die Leiter an und wird von oben überraschend darauf hingewiesen, dass auf diesem Baum schon einer ist. Freundliche Menschen fordern die Neuankömmlinge nun auf, Platz zu nehmen, weniger freundliche zielen wie aus Versehen mit einem Kirschkern nach dem Konkurrenten. Auf den Plantagen der Hofläden verteilen sich die Selbstpflücker besser, müssen aber für jeden geernteten Korb bezahlen.
Die Gärtner am königlich-preußischen Hof perfektionierten die Kunst des Gartenbaus. Neben Orangen, Zitronen, Wein und Pfirsichen zogen sie auch Erdbeeren, für die die Gegend um Werder mit ihren vielen Erdbeerhöfen heute noch berühmt ist. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Sanssouci ein Erdbeertreibhaus. Die Hofgärtner ließen die Erdbeerpflanzen in Hunderten von Tontöpfen in der Melonerie treiben und pflanzten sie dann auf terrassenförmigen Erdbeerbeeten an schattigen Stellen aus. »Die Frauen aßen die Erdbeeren mit Sahne und Zucker, die Männer gebrauchten anstatt der Sahne Wein«, schreibt der Hofgärtner Theodor Nietner in seinem großen, den Erdbeeren gewidmeten Buch. Die Erdbeeren von Potsdam waren so beliebt, dass sich Friedrich Wilhelm III. die Früchte sogar bis Paris nachschicken ließ, wo er gerade Napoleon geschlagen hatte.
Dass sie hier im Garten Eden waren, stellten auch die ersten Ökos fest, eine Reformbewegung zur vorletzten Jahrhundertwende, die aus Anhängern eines vegetarischen, alkoholfreien Lebens bestand. 1893 gründeten sie bei Oranienburg eine Obstbaugemeinschaft und benannten sie nach dem biblischen Garten. Sie bepflanzten hundertzehn Hektar Sandboden mit Beerensträuchern und Obstbäumen, und als ihre Ernte den eigenen Bedarf weit überstieg, vermarkteten sie ihre Produkte und wurden zu Vorläufern heutiger Biomärkte. Selbst eine Marmeladenfirma aus dem Taunus griff auf die havelländische Idee zurück; die Firma Eden aus Bad Soden nennt ihre Produkte nach dem Vorbild der Obstbaugemeinschaft.
Den Besuchern des Werderaner Baumblütenfestes wird es nach einigen Gläschen Obstwein ebenfalls ganz himmlisch zumute. Einmal im Jahr, wenn die Obstbäume blühen, öffnen die vielen Obstkeltereien entlang des Großen Zernsees ihre Gärten und Höfe. Neun Tage dauert das Blütenfest. An bunten Wachstuchdecken und auf Plastikgestühl wird unter weißen Kirsch- und rosafarbenen Pfirsichblüten hausgemachter Obstwein ausgeschenkt. Schlehe, Holunder, Sanddorn, Kirsche, Johannisbeere und Rhabarber. Wein, der gut gekühlt schmeckt wie frischer Fruchtsaft, aber nach einer Weile im Körper eine hohe Welle schlägt; Fruchtsüße und Alkohol verbinden sich zu einer wirkungsvollen Mischung. Eine halbe Million Gäste wälzt sich durch die Straßen, vorbei an Bratwurst- und Weinverkostungsbuden. Abseits der Hauptader schenkt der betagte Inhaber den Wein persönlich aus, manchmal kann man selbst zapfen. Die Enkel schmieren in der Küche Schmalz- und Butterbrote. Am Gartentor lehnen die Fahrräder der Gäste. Der Reisebus, der seinen Weg hierhergefunden hat, passt kaum auf die kleine Gartenstraße, in der man kurz behost beisammensitzt, ganz ins eigene Vergnügen versunken. Niemand stört sich an der eher nützlichen als schönen Einrichtung der Schankorte. Solange der alkoholhaltige Fruchtsaft so reichlich fließt, als rinne er nicht aus Glasgallonen, sondern direkt aus den Blüten der Bäume in die durstigen Kehlen, gibt man ungezwungen das Klischeebild des typischen Märkers ab: leicht begnüglich. Und etwas derb.
Spielarten der Sehnsucht
Die deutsche Sehnsucht nach dem Land ist weder radikal, noch nimmt sie Züge des Religiösen an, wie man das von den
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