Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
nördlichen Nachbarn in Schweden oder Norwegen kennt: Die Deutschen mögen es mäßig. Während es die nördlichen Naturanbeter als einen Reinigungsakt betrachten, wenn sie den Sommer in einer spartanischen Hütte ohne Wasser und Strom verbringen, mit dem sie sich vom Zivilisationsmüll befreien, nehmen die deutschen Sehnsüchtigen den Komfort der Zivilisation gern ins Ländliche mit. Weshalb die meisten von ihnen auch nicht wirklich in die Wildnis wollen. Sie ziehen nicht etwa in die westliche Prignitz oder die nördliche Uckermark, sondern an den Stadtrand von Berlin. Sie wollen keine Hütte, sondern ein energieeffizientes Haus mit Stadtwasseranschluss, Fußbodenheizung und Komfortgarage. Selbst naturselige Künstler, die bezüglich der Wahl des Wohnortes ungebundener sind, legen Wert darauf, dass ihr Gehöft nicht weiter als eine Autostunde von Berlin entfernt ist. Man möchte zwar die Freiheit des Landes, aber man möchte kein Landei sein. Was dazu führt, dass die wenigen echten Landeier bald auch zu Stadttieren werden.
Es sei denn, das Geld reicht zum Zweitwohnsitz. In diesem Fall behält man eine Wohnung in der Stadt und kann etwas weiter ab vom Schuss das Bedürfnis nach der eigenen Scholle ausleben. Dieses Modell ist besonders bei Menschen in alternativen Lebensformen beliebt, die sich zu bäuerlichen Wohngemeinschaften zusammenschließen, aber auch bei situierten Freiberuflern, Politikern, bei Ärzten oder Juristen, all jenen, die sich eine doppelte Existenz leisten können. Sie eint ihr Blick für das Besondere und der Wille, sich neben dem stressigen Hauptjob meditativ handwerklich zu betätigen, und zwar an einem Bauernhaus, einem Vierseithof oder einer Villa, die oft heruntergekommen sind und aus reiner Not zum Verkauf standen (der Bauernhof ging pleite, die Sanierung der geerbten Villa war den Erben zu teuer, die Nachkommen leben in einem anderen Bundesland und wissen nichts mit Omas rümpligen Gehöft anzufangen). So sieht man in Brandenburg des Öfteren hauptberufliche Chirurgen, Richterinnen oder Staatsekretäre in alten Jeans auf Dachfirsten hocken und neue Schindeln verlegen, Schriftstellerinnen oder Fernsehmoderatoren in Gummistiefeln alte Ställe ausmisten. Sogar reiche Reedereibesitzer aus Hamburg wurden dabei gesichtet, wie sie zwei Jahre lang zur Entsäuerung der Erde Lupinen auf dem neuen Grund und Boden pflanzten, der – als man noch keinen Sinn für den Wert eines Seegrundstücks hatte – zur Lagerung von Kuhmist diente. Die Reedereifamilie heuerte zwei namhafte Architekten an, die aus der alten Ruppiner Scheune ein architektonisches Gesamtkunstwerk machten. Auch eine in Berlin lebende Verfassungsrichterin gibt ihren Rückzugsort im Uckermärkischen nicht preis, dessen Gebäude sie eigenhändig sanierte. Die Abgeschiedenheit und das Gefühl, für einen Augenblick nicht verfügbar zu sein, sind die Vorteile der Zweitexistenz.
Oft bleibt die Sehnsucht auch das, was sie ist. Sie soll sich nicht erfüllen. Sie ist gerade deshalb schön, weil die Stadtflucht nur in der Vorstellung stattfindet. Ein Leben ohne Kino und Cafés, in dem die Verbindung zur Welt nicht übers Internet gehalten wird (viele Dörfer träumen noch vom Anschluss ans worldwideweb), sondern über die Märkische Oderzeitung , den Oranienburger Generalanzeiger , den Prignitzer oder die Lausitzer Rundschau , ist nicht für jeden geeignet. Aber der Citylärm wird erträglicher, wenn man mit der Möglichkeit liebäugelt, ihn jederzeit verlassen zu können. Aus der Perspektive der Landbewohner ist das die zuträglichste Version der Sehnsucht. In diesem Fall verpesten keine Pendler die saubere Luft, kein Zugezogener versucht, einen Bauern in der fünften Generation davon zu überzeugen, dass seine Kühe Namen haben müssten statt Nummern, und niemand bemüht sich, in den Räumen des Kaninchenzuchtvereins Lesungen zu veranstalten. Aber da sich selten jemand auf den ersten Blick in brandenburgische Dörfer verliebt, müssen die Einheimischen keine Angst haben, eines Tages unter einer ähnlichen Bevölkerungsdichte zu leiden wie die Menschen in zugänglicheren Landstrichen.
Schutz
Damit das Landleben, wonach sich alle sehnen, ländlich bleibt, muss es umgeben sein von viel Natur, wofür sich Landesumweltamt, Naturschutzfond und Naturliebhaber seit zwanzig Jahren stark machen. Zwölf Naturparks hat Brandenburg (der älteste Ostdeutschlands ist die Märkische Schweiz), siebeneinhalb Prozent der Fläche des Landes stehen unter
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