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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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DDR-Zeiten von der Nationalen Front genutzt wurde und bis zur Wende gut erhalten blieb. Heute ist das Schloss mit seinen zwei Türmchen ein Hotel für Besserverdienende. Mit allerlei Plüsch und alt wirkendem Mobiliar ausgestattet, versucht es, Adelsstimmung zu simulieren. Hochzeitspaare und situierte Herrschaften auf Ost-Erkundung buchen Doppelzimmer mit Seeblick. Auch im Hotel nebenan gibt es Doppelzimmer mit Seeblick. Die Zimmerpreise sind dort günstiger, und die Adelsstimmung fehlt ganz. Es gibt stattdessen Betriebsferienheim-Stimmung. Man trinkt Potsdamer Rex statt Biobier, die Einrichtung ist einfach und ausgelegt für Fahrradtouristen und Leute mit kleinem Einkommen. Das Gebäude trägt noch unverkennbar das Gesicht des Sozialismus; ein kaum aufgehübschter Plattenbau im Siebzigerjahre-Ostchic. Von beiden Häusern aus ist die Insel zu sehen, die in der Mitte des Untersees liegt. Eine Lichterkette hängt zwischen den Bäumen. Wer hinüberwill, schlägt den Gong am Ufer oder ruft den Fährmann. Spinnweben hängen am Bootsgestänge der kleinen Fähre, der Fährmann trägt eine Schiebermütze und gibt eine Extratour um die Insel, heute sind nur wenige Gäste da. Es hat geregnet, der Himmel ist violett, die Insel nicht größer als ein Fußballfeld. Die Bedienung des Lokals ist erleichtert über neue Kundschaft, schließlich ist alles auf der Speisekarte auch im Angebot. Und während man unter den roten und grünen Partylämpchen sitzt und es von den Schirmen auf den Havelzander tropft, werden sich die Gäste des einen Hotels und die des anderen immer ähnlicher. Im violetten Abenddunst über dem verregneten See wirkt sogar der Plattenbau romantisch.
    Das Ufer des Scharmützelsees eignet sich ebenfalls gut für Sozialstudien. Auf einem frisch gerodeten und planierten Waldboden im Süden entstand eine Einfamilienhaussiedlung. Neben einem korrekt umzäunten Zeltplatz, auf dem mehr verboten als erlaubt ist, reihen sich in schöner Ordnung Häuser im Nachwendeformat: einstöckig mit Kamin, Terrasse aus Granitplatten, Garage, Zaun.
    Wer die berückende Waldstraße am Westufer weiter nach Norden fährt, kommt an einem Schlachtschiff von Hotel vorbei. Das Golfer-Hotel Arosa hält mit breiter Front und kleiner Marina das Ufer besetzt. Hier buchen österreichische und bayerische Unternehmen ein Golf-Wochenende für die Manager, die nach dem Golfen im Team auf elektrischen Stehfahrzeugen durch die Gegend surren. Der Uferwanderweg am Hotel ist dem Gesetz entsprechend zugänglich geblieben, aber mit Terrassen und Outdoor-Lounges so verbaut, dass der schüchterne Wanderer verzagt umdreht, weil er das kleine Gartentor, das ihn durch die Anlage hindurchführen und auf der anderen Seite wieder in die Freiheit des Waldes entlassen würde, nicht zu öffnen wagt.
    Wenige Kilometer nördlich liegt eine Enklave des Ostens. Sie wirkt so leblos wie das Hotel; brüchige Gehwegplatten führen zum Wasser, in das ein verfallener, rostiger Steg hineinragt. Ein Überbleibsel der Propagandaschöpfung »Bad der Werktätigen«, das hauptsächlich aus Betriebsferienheimen und Pionierferienlagern bestand. Links liegt eine der quadratisch-praktischen Datschensiedlungen mit ihren muffig wirkenden Behausungen unter Dachpappe. Rechts ein vor sich hin rottendes Holzhaus, das einmal der Einlass zum Strandbad war. Das Bad ist heute ein krautiger Grasplatz mit einer Freilichtbühne, die sich in Richtung antiker Ruine entwickelt. Dahinter gibt es die Überreste eines Tanzlokals. »Diskothek« steht noch in den alten, eckigen Buchstaben über dem Eingang, durch den junge Birken wachsen. Auch aus der Terrasse, auf der einst getanzt wurde, schießt das Grün. Nur die Glasballons der Lampen flackern um Mitternacht wahrscheinlich kurz auf und beleuchten die Geistertänzer im Saal, in dem vor einer Ewigkeit süße rote Limonade serviert wurde und billiges Bier.
    Am Nordufer liegt schließlich das berühmte Bad, der Kurort Bad Saarow. Villen mit Loggien, die Noblesse der Zwanzigerjahre, Wacholderwuchs auf gepflegten Grundstücken. Kaum weiß man noch, dass sich hier sowohl die Nazielite, als auch die Gäste des Zentralkomitees der SED einst eingenistet hatten. Der Ort verströmt mit seiner langen Uferpromenade und den Wellnessangeboten der Therme eine mittelständische Wirklichkeit. Unter den parkenden Autos häufen sich die Nobelmarken. Jachten ankern in den überschaubaren Häfen des »Märkischen Meers« (O-Ton Fontane), in dem die Süßwasser-Titanic

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