Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Kunst ganz in die Nähe der Natur.
Worauf ich hinauswill: Brandenburg ist das Land, in dem die Kunst zu sich selbst zurückfindet. Sie beschäftigt sich wieder mit dem, womit einmal alles anfing: der Nachahmung der Natur.
Auf dem Land darf auch gelacht werden
Die Kunst dieses Landstrichs hat nicht nur das Ländliche zum Thema, sie findet logischerweise auch meistens im Ländlichen statt. Die Sparten Theater und Musik tun sich dabei besonders hervor. Den Festplatz selbst des kleinsten Kuhdorfs verwandeln sommerliche Theater- und Konzertaufführungen in eine große Volksarena. Es gibt Tango im Schafstall, Jazz im Kartoffellager, frühbarocke Musik in der Scheune, es werden Der kleine Prinz , Märchen von Hans-Christian Andersen oder ein Puppenspiel in Kirchen, Klöstern oder im »Heckentheater« aufgeführt. In der Langeweile der Sommerpause des städtischen Theaters zieht es auch die Schauspieler aufs Land. Wo sie dann die bildhauernden Künstler mit Zweitwohnsitz, die dichtenden Poeten mit Einsamkeitsanspruch und das städtische Theaterpublikum gleichermaßen bespielen, kurz: wo sich alle wiedertreffen. Denn das Publikum ist ebenfalls für den Sommer ins Grüne gezogen. Spätestens nach einer Woche fängt es an, das dörfliche Gemeindeprogramm zu durchforsten auf der Suche nach Abwechslung vom Gesumme der Wespen. Da es dort nichts entdeckt außer dem Tanztee der Volkssolidarität, einem Traktor- und Oldtimertreffen und dem Auftritt einer in die Jahre gekommen Ost-Kombo, die schon zu Wendezeiten niemand mehr hören wollte, geht es, wenn das Sommertheater endlich beginnt, bereits auf dem kulturellen Zahnfleisch. Demzufolge wird aus dem äußerst kritischen Debattierpublikum aus der Stadt ein äußerst demütiges Landpublikum mit der Bereitschaft, wenn es sein muss, auch zu lachen.
Für diese sommerlichen Kammerspiele sind verfallene Parks mit äußerst verfallenen Schlossterrassen besonders beliebt. Das führt bei den Gästen zu einer moralischen Zwickmühle: einerseits ist es wichtig, das Kulturgut zu erhalten, andererseits aber auch schade, das so schöne Ruinöse saniert zu sehen. Manch eine Aufführung findet deshalb gleich auf der improvisierten Bühne eines Bierlokals statt, in einem Brunnenhaus, zu dem man paddeln kann, oder im Garten eines Kulturbeflissenen, dessen Kräuterbeete originalgetreu denen der Dichterin nachempfunden sind, die in den Zwanzigerjahren auf diesem Grundstück lebte. Da das Stadtpublikum jetzt in Shorts und Flip Flops erscheint statt in Krawatte oder Abendkleid und die Schauspieler sich um einen betont volkstümlichen Charakter der Darstellung bemühen, merken beide Seiten nichts von dieser Wiederbegegnung und können sich ungestört am Erfolg ihres Vorhabens erfreuen, dem Landvolk das Theater nahezubringen.
Ähnliche Begegnungen kann man auch auf Ausstellungseröffnungen wie dem »Rohkunstbau« beobachten.
Ursprünglich von einem Augenarzt aus dem Spreewald als kleine Ausstellungsreihe gegründet, wird diese Kunstveranstaltung mittlerweile landesweit unter dem wirksamen Label »documenta Brandenburg« gefördert.
Jeden Sommer holen die Veranstalter Künstler aus anderen Ländern herbei, um die Menschen der Region über die Anziehungskraft ihrer Scheunen und Adelssitze in Kenntnis zu setzen und die Künstler zu ermutigen, das Rauschen Brandenburger Linden und das Gluckern der Seen mithilfe ihrer Kunst globalisierungstauglich zu machen. Die Künstler kommen gern, weil das Ambiente so »gothic« ist, so »murkelig« und unfertig.
In letzter Zeit hat sich Schloss Marquardt bei Potsdam als Ausstellungsort etabliert. Im verfallenden architektonischen Allerlei mit Blick auf den Schlänitzsee steht die Kunstwelt aus Berlin zur Vernissage mit Proseccogläsern auf der Terrasse und prostet sich nach den Worten der brandenburgischen Kulturministerin anerkennend dafür zu, sich so weit in die Einöde hinausgewagt zu haben, während die Kinder in teuren Gap-T-Shirts auf dem englisch getrimmten Rasen spielen.
Ein Sommernachtstraum
Neben Sommertheatern und Hoffesten mit Plinsen-Wettessen und Livemusik gibt es große Spektakel, sogenannte Festivals. (Im Winter finden auf dem Land Glühweinabende am Kamin oder Winterwanderungen um den See statt, die das Leben des einen oder anderen preußischen Königs oder eine Gänseart zum Thema haben). Die Sommerfestivals sind vor allem eines: lange vorher ausgebucht. Das liegt einereits an verspielten, phantasievollen Programmmachern, die ihren
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