Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
Vom Netzwerk:
Morgen bemerkt. Der gesamte Park steht unter Strom. Endlose Meter Elektrokabel werden hinter Büschen und Rabatten verlegt, um die Lautsprecher auf den Bühnen zu befeuern, die Scheinwerfer vor den Schlössern, das Geisterlicht an den Edelhölzern, den rosa sprühenden Nebel, in dem die Rokoko-Theatergruppe ihr stilles Spiel aufführt, ganz in Weiß bis auf die puppenhaft schwarz umrandeten Augen. Nur der Botanische Garten kommt ohne Kabel aus. Hier erhält jeder ein Öllämpchen. An der Hand der Besucher schwebt das Licht durch den Steingarten, wo es exotische Pflanzen schwankend der Nacht entreißt. Abseits der Bühnen erklingt ein Fagott oder das Spiel einer Violine. Eine Musikerin sitzt allein am Wegrand auf einem schwarzen Podest. Ihr Rock fließt an ihr herab, reglos wie das Tuch der Götter. Von oben wird sie von einer provisorisch aufgestellten Gaslaterne beschienen. In der Ferne leuchtet ein künstlicher Mond. Pärchen flanieren über die Wiesen. Die Violonistin spielt. Ihr zu Füßen sitzen Studenten, aneinandergelehnt, die Augen halb geschlossen, und automatisch sieht man Stöpsel von iPods in ihren Ohren. Aber da ist nichts. Da ist nur der hohe Ton des Instruments, der, wenn er aussetzt, den Grillen Gelegenheit zum Auftritt gibt.
    Ins magisch-verzauberte Gefühl gerät man auch in Wiesenburg. Statt eines Feuerwerks sprühen erleuchtete Wasserfontänen in die Luft. Die Feuerwehr ist im Einsatz. Die Nacht der leisen Illusionen endet in einem großen, an den Himmel geworfenen Wasserkunstwerk oder mit einer an die Schlossfassade projizierten, überdimensionalen Video-Licht-Installation. Ballons hängen in den Bäumen des Parks, Teelichter säumen Wege und Blumenrabatten, und über den Schlosssee treiben umgekippte Regenschirme, von innen beleuchtet, wie Schwäne. Das ganze Dorf spielt zur »Wiesenburger Schlossparknacht« den Beleuchter. Schüler sind mit Streichhölzern und Feuerzeugen unterwegs, um Tausende von Teelichtern pünktlich anzuzünden.
    Cottbus hat sich auf seine Polkatradition besonnen. Die Hauptstadt der Niederlausitz veranstaltet ein internationales Polkafestival mit unwahrscheinlich vielen Musikern, die alle zusammen die »Annemarie-Polka« spielen, zu der dann unwahrscheinlich viele Menschen tanzen. Die »Annemarie-Polka« ist so etwas wie der Squaredance der Niederlausitz, füllt ganze Turnhallen und Festsäle und besteht aus Hacke-Spitze-Hacke-Spitze-zwei-Schritt-Drehung und der häufigen Nennung des Namens Annemarie. Im Laufe des Abends wird der Tanz immer schneller, angestachelt vom gelegentlichen Jauchzen des DJs, dem Qualm selbst gedrehter Machorkas, die die polnischen Freunde mitgebracht haben, und wer es richtig auskosten will, legt die Polka in sorbischer Tracht aufs Parkett.
    Frankfurt/Oder war ursprünglich das kulturelle Zentrum Brandenburgs. Statistisch gesehen brachte es die meisten denkenden und dichtenden Köpfe hervor, von denen viele leider bereits vergessen sind. Also hat sich die Stadt auf ihren Star konzentriert. Heinrich von Kleist, der Autor des Michael Kohlhaas und der Penthesilea , wuchs bis zu seinem elften Lebensjahr in Frankfurt/Oder auf, trat mit fünfzehn ins Potsdamer Garderegiment ein und studierte später an der »Viadrina« Mathematik, Physik und Philosophie, woran ein Kleist-Museum in seinem Geburtshaus erinnert. Das ihm gewidmete Festival findet allerdings im festivalarmen Oktober statt.
    In der Festivalkultur liegt übrigens der Beweis dafür, dass die Reiseunlust der Brandenburger eine bösartige Mär ist. Die Leute sind nicht aus Spaß sesshaft. Sie hocken auch nicht aus purer Einfallslosigkeit in ihren Einfamilienhäusern. Im Gegenteil! Sie haben keine Zeit. Jemand muss sich diese ganzen Festivals ja ansehen! Wann, bitte, sollten sie da noch in den Urlaub fahren? Im Frühjahr? Irrtum. Im Frühjahr näht die Landbevölkerung die Kostüme für den nächsten Sommer.
Glotzt nicht so romantisch!
    Bereits zu den Zeiten von Heinrich von Kleist verschob sich der Schwerpunkt künstlerischer Aktivitäten von Zentren wie Frankfurt/Oder allmählich ins Ländliche hinein. Die romantischen Dichter zog es zu den entlegenen Gutshäusern des Landadels, eingebettet in eine verwunschene Natur. Clemens von Brentano, die Gebrüder Grimm, Ludwig Tieck, Rahel Varnhagen, E. T. A. Hoffmann, August Wilhelm Schlegel und Joseph von Eichendorff trafen sich um 1800 regelmäßig in Kunersdorf im Oderbruch, in Nennhausen im Havelland oder in Straupitz in der Niederlausitz. In

Weitere Kostenlose Bücher