Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Jahr unzählige Förster und Wildhüter. Auch schussunsicheren Hobbyjägern gelingen allerdings wegen der großen Menge der Tiere (etwa fünfzigtausend plus fünfzigtausend Erlegte pro Jahr) manchmal Glückstreffer.
Der kaiserliche Jagdtross (Kaiser Wilhelm I., Kaiser Friedrich III. und Kaiser Wilhelm II.) hatte sich im umzäunten Potsdamer Wildpark noch elegant aufs Erlegen von Rot- und Damwild und von weißen Edelhirschen konzentriert. Bei Honecker und seinem Anhang, die in der Schorfheide schossen, ging es wenig elegant zu. Sie ließen sich die Wildschweine direkt vor die Flinte treiben. Fährt man heute durchs Land, steht zu Jagdzeiten überdurchschnittlich häufig der Wildschweinbraten auf den Speisekarten der Dorfgaststätten, und wenn man Pech hat, trifft man ein lebendes Tier auf der B 96.
Dennoch ist Brandenburg nicht das Land reicher Bauern geworden. Noch immer ist es entweder zu spät im Jahr zu kalt oder zu früh im Jahr zu heiß, sind die Winter zu lau oder zu streng. Noch immer werden die Felder überschwemmt. Dabei geht nicht nur die Ernte kaputt. Auch die für das Getreide aufgebrachten Nährstoffe werden in die Seen gespült und fördern dort schädliches Algenwachstum. Das vergällt den Touristen das Baden. Und nicht nur die Bodenbeschaffenheit und das Wetter machen das Leben in der Landwirtschaft hart. Die Frage, welches Huhn die weichsten Eier legt, ist hier kein Zwist unter Konkurrenten. Es ist eine politische Frage und geht auf die jüngste Vergangenheit zurück.
Ein Beispiel ist Kyritz an der Knatter. Die Kyritzer wollten den Ruf loswerden, eine Fiktion zu sein. Sie wollten nicht mehr für Comicfiguren gehalten werden. Lange genug hatten sie sich mit der Erklärung den Mund fusselig geredet, der Beiname »an der Knatter« stamme von den Wassermühlen ab, die hier einst »knatterten«. Es hatte nichts gefruchtet. Immer wieder standen sie vor ungläubigen Touris: »Kyritz an der was?«
Es musste ein schlagkräftiger Beweis dafür gefunden werden, dass Kyritz an der Knatter ein ernst zu nehmendes Städtchen ist. Man entschied sich für den politischen Weg. Im Laufe der Jahrzehnte wurden in Kyritz zwei Denkmäler errichtet. Beide stehen für politische Entscheidungen zur Frage nach dem weicheren Ei. Das eine Denkmal erinnert an Wilhelm Pieck, der im September 1945 in Kyritz die Bodenreform verkündete: Grund und Boden sollten dem Volk gehören, Felder, Wiesen und Seen sollten von allen gleichermaßen genutzt werden. Das zweite Denkmal wurde 2010 eingeweiht und zeigt, was aus dieser Idee später wurde. Eine Bronzeplatte an einem Findling erinnert an die Opfer der Zwangskollektivierung. Im »sozialistischen Frühling« 1960 wurden auch Brandenburgs Bauern mit brutalen Maßnahmen gezwungen, in Staatsbetriebe einzutreten, in die sogenannten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Auch früher schon waren die Ackerflächen der Gutsbesitzer in Brandenburg größer gewesen als anderswo, da die schlechten Böden wenig Erträge einbrachten. Aber erst den LPGs war die Natur nichts mehr wert. Als es darum ging, möglichst viele einzelne Felder in eine einzige landwirtschaftsbetriebliche Fläche umzuwandeln, nahm man auch die Verseuchung von Klarwasserseen in Kauf.
Mit den Denkmälern zeigen die Leute »an der Knatter«, dass eine Sache verschieden gedeutet werden kann, und verbessern das Image der Brandenburger. Man ist fähig zur Kontroverse. Die Frage, ob große oder kleine Betriebe die weicheren Eier produzieren, ist noch immer nicht entschieden. Auch heute werden nur fünfzig Prozent des reprivatisierten Agrarlands von freien Bauern bewirtschaftet. Aus vielen LPGs sind Agrargenossenschaften geworden, andere werden von ausländischen Agrarkonzernen weitergeführt, die weiterhin riesige Flächen monokulturell bepflanzen; Betriebe, in denen man mit der bronzenen Gedenktafel so seine Schwierigkeiten hat.
Alte Lasten und neue Läden
Schuld an der Entstehung von LPGs war nicht allein der Sozialismus, sondern auch ein aus Niedersachsen stammender Arzt. Albrecht Daniel Thaer hatte ein Faible für die Landwirtschaft, vor allem dort, wo sie nur klägliche Ernte einbrachte. Also wanderte er Ende des 18. Jahrhunderts nach Brandenburg ein. Er ließ sich vom preußischen Hof ein altes Rittergut in Möglin im Oberbarnim vermachen, nannte es »Königlich-preußische Akademie des Landbaus« und fing an zu experimentieren. Er bestellte Feldgerät in England, wo die Landwirtschaft zu Beginn des
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