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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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noch immer gegen den Braunkohleabbau protestiert werde, sah sie mich an, als hätte ich ihr eine Neuigkeit über Kirgisien erzählt. Lakoma liegt bei Cottbus, und Cottbus ist von Welzow nicht einmal hundert Kilometer Luftlinie entfernt. Aber für meine Kusine war Lakoma eine andere Welt. Sie hatte genug damit zu tun, sich in ihrer eigenen zu orientieren. Meine Kusine ist nicht die Einzige mit solchen Problemen. Auch ein Bergbauingenieur, der seit Jahren im Welzower Tagebau arbeitet, verfuhr sich. Im Jeep brausten wir über die zerwühlten Sandflächen der Abraumhalden, ohne Anschluss an eine Straße zu finden, die seiner Meinung nach gestern noch da gewesen war.
    Die Orientierungslosigkeit kommt nicht daher, dass die Menschen in dieser Gegend keine geografischen Kenntnisse oder kein Interesse an der eigenen Region hätten. Ihr Land ist ständig in Bewegung. Orte wechseln die Lage. Seen entstehen, wo vorher Gruben waren. Straßen werden verlegt, aus Hochkippen werden Rodelberge und Motorsportbahnen. Wälder werden verschoben oder wandern an Orte, die vorher Ackerflächen waren. Wo vor Kurzem noch die Container der Bergbaugesellschaften standen, schwanken heute Segelmaste im Wind. Wo vorher der Dorfkonsum war, steht jetzt ein Schild mit »Vorsicht! Lebensgefahr!«. Ein ganzes Dorf machte einem einzigen Abraumbagger Platz, um ein paar Kilometer weiter mit der Vorsilbe »neu« wieder zu erstehen. Kein Wunder, dass man da irgendwann den Überblick verliert.
    Kein Wunder auch, dass die umsiedelnden Menschen die gleichen Nachbarn haben wollen. Die Häuser in den neuen Dörfern werden so angeordnet wie in den alten. Das Dorf zieht gewissermaßen als Ganzes um. Das gibt ein kleines Gefühl von Vertrautem. Die Bauweise folgt allerdings neuesten Standards. Die umgesiedelten Anwohner besitzen bessere und energieeffiziente Häuser und vor allem doppelt so teure, denn als Entschädigung müssen die Bergbaugesellschaften ihnen heute den doppelten Wert ihres Eigentums auszahlen. Manch ein Bauer, der sich seit Generationen mit ein paar Hektar unfruchtbarem Land abplagte, wurde über Nacht zum Besitzer einer schmucken Villa.
    Jedenfalls habe ich keine Angst, an diesen südlichen Rand zu fahren, und ich weiß auch, welche Autobahn man nimmt: man zuckelt über die zweispurige, etwas holprige A 13, die weiter nach Dresden führt. Ich bin ein echtes Tagebau-Kind. Väterlicherseits. Für mich ist das alles immer noch wie Spielen im Sandkasten; Türmchen bauen und wieder plattmachen, Burgen versetzen, Gräben buddeln und fluten, nichts ist für die Ewigkeit. Der Gedanke, dass sich alles jederzeit ändern kann, ist nicht bedrohlich für mich, sondern faszinierend. Und ein wichtiges Spiel meiner Kindheit, das Eierkullern oder »Waleien«, kann man nicht nur im Sandkasten, sondern genauso gut auch auf der Kippe spielen. Man braucht nur eine plattgeklopfte, abschüssige Sandbahn, die auf der Kippe etwas größer ausfällt und etwas schmutziger macht.
    Das Eierkullern wurde ursprünglich als Fruchtbarkeitszauber von den Sorben betrieben. Sie rollten zu Ostern die gekochten und bemalten Eier über Felder und Wiesen, in dem Glauben, die Saat gehe so besonders gut auf. Bei den Sorben mag das geklappt haben; sie haben aus dem Eierbemalen eine hohe Kunst entwickelt, die man während der Ostertage in der Niederlausitz überall bewundern kann. Für mich war es ein Spiel, bei dem es darum ging, mit dem eigenen gefärbten Osterei möglichst viele der gegnerischen, auf der Bahn platzierten Eier zu treffen. Eine Art Billard am Hang. Gewonnen hatte meistens die, die am Ende ein Ei übrig behielt, das noch als solches zu erkennen war.
    Meine Oma lebte in Rauno, einem Dorf mit Apfelbäumen, einer Kneipe, einem Weinberg, mit Ziegen und einem Garten, in dem sie Gladiolen zog. Wenn sie in den Garten ging, um die Blumen zu gießen, roch die Luft nach Kohle. Sie zog sich eine dunkle Schürze an. So war der Kohlenstaub, der sich auf der Kleidung absetzte, sobald sie aus der Tür trat, nicht so schnell zu sehen. Wenn ich im Senftenberger See badete, kam ich mit einer schwarzen Halskrause aus dem Wasser. Meine Oma ging nie baden. Sie musste dreimal täglich die Fensterbretter abwischen, die, kaum hatte sie den Lappen weggelegt, erneut schwarz beflogen waren. Auch die Blüten der Gladiolen sahen merkwürdig geschwächt aus. Die Blätter trugen dunkle Schleier.
    Rauno lag in einer Gegend, in der Tausende Pflanzenarten mehrere Millionen Jahre lang daran gearbeitet

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